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BLK-Programm - Demokratie lernen & leben: Geschichte und Idee von Großgruppenverfahren

Materialien

Selbstevaluation mit großen Gruppen

Geschichte und Idee von Großgruppenverfahren

Die Ursprünge der Verwendung von Großgruppenverfahren zur partizipativen Gestaltung von Veränderungs- und Entwicklungsprozessen in sozialen Systemen sind nicht schwer zu erraten. Bezeichnungen wie Open Space Technology, Future Search Conference oder Appreciative Inquiry Summit verweisen offenkundig in den angelsächsischen Sprachraum und dort in erster Linie in die USA, wo Großgruppenverfahren bereits seit den 1960er Jahren entwickelt und verwendet werden. Wie in den USA erstreckt sich ihre seit etwa zehn Jahren auch in Deutschland zunehmende Verbreitung vor allem auf den Bereich der Organisationsentwicklung von Unternehmen. Nichtsdestotrotz sind sie nicht auf diesen Bereich beschränkt. Tatsächlich sind die meisten heute gebräuchlichen Großgruppenverfahren von US-amerikanischen Sozialwissenschaftler/-innen, in der Regel Psycholog/-innen und Soziolog/-innen, entwickelt und nicht selten auch im sozialen Sektor für die demokratische Gestaltung von Veränderungsprozessen in Kommunen, Non-Profit-Organisationen und auch Schulen angewandt worden.

Von Großgruppen spricht man im allgemeinen (nach Boos & Königswieser 2000: 17) ab etwa 30 Teilnehmer/-innen bzw. genauer dann, wenn es praktisch nicht mehr möglich ist, alle Teilnehmer/-innen mit vergleichbaren individuellen Gestaltungsmöglichkeiten an einem einzigen gemeinsamen Prozess aktiv zu beteiligen. Demnach sind Großgruppenveranstaltungen im Grunde weder etwas besonders Neues noch etwas äußerst Einzigartiges. Zu denken ist an Feste, rituelle Zeremonien (z.B. Gottesdienste), Sportveranstaltungen, Vorträge, Mitgliederversammlungen, politische Kundgebungen usw. Das solchen Großgruppenveranstaltungen gegenüber wirklich Neue und gleichzeitig Charakteristische von Großgruppenverfahren besteht indes in folgenden beiden Eigenschaften (vgl. wiederum ebd.): Erstens geht es bei ihnen auf die eine oder andere Art stets um die Herstellung von Zweiwegkommunikation in Form von direkten Gesprächen zwischen den Teilnehmer/-innen; und zweitens sind bzw. werden die durch sie strukturierten kommunikativen Prozesse in sehr konkrete Veränderungs- sowie Entwicklungsvorhaben und -prozesse eingebettet.

Darüber hinaus geht es bei Großgruppenverfahren stets nicht nur um die gemeinsame diskursive Lösung konkreter Probleme oder die Gestaltung bestimmter Vorhaben, sondern auch um die Veränderung der alltäglichen Kultur des Zusammenarbeitens und -lebens in Organisationen, seien dies Unternehmen, Kommunen oder auch Schulen. Sie erfordern und fördern gleichzeitig Veränderungen hinsichtlich des Denkens und Handelns der Teilnehmer/-innen sowie darüber vermittelt der Strukturen des Interagierens in Richtung auf mehr Kooperation, Austausch und Verantwortungsübernahme. Martin Leith (1997) unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen konventionellem und neuem Denken, wobei ersteres den bislang herkömmlichen Strukturen und letzteres den sich insbesondere auch durch Großgruppenverfahren entwickelbaren Strukturen in Organisationen entspricht. Folgendermaßen lassen sich die beiden Welten einander gegenüberstellen (nach Königswieser 2000: 43):

Während das „konventionelle Denken" also eher problemorientiert vorgeht, findet sich im „neuen Denken" eine starke Orientierung auf Lösungen.

Die Herausforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich der Schule unterscheiden sich, wie leicht zu erkennen ist, wenig von denjenigen in anderen Gesellschaftsbereichen. Gerade Schulen, in denen es insbesondere im Zeichen eines neuen, demokratischen Verständnisses von Schule und Lernen weniger um Belehrung und vielmehr um eigenaktive und kooperative Entwicklung der Schüler/-innen geht, müssen sich in Zukunft mehr und mehr von der alten „Lehr- und Lernanstalt" zur lernenden, sich beständig weiter entwickelnden Organisation entwickeln. Großgruppenverfahren ermöglichen es, diesen Prozess auf demokratische Weise immer wieder evaluativ zu reflektieren und davon ausgehend auf motivierende Weise partizipativ zu gestalten.

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