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BLK-Programm - Demokratie lernen & leben: Kontext

Materialien

Die Fäden in die Hand bekommen und festhalten - die pädagogische Jahreskonferenz als Instrument demokratischer Schulentwicklung (Hamburg)

Kontext, Begründungen, Ziele

Warum und vor welchem Hintergrund ist der Baustein eingeführt worden?

Allgemeine Beschreibung der Schule

Die Ganztagsschule Osterbrook (GTS) ist eine Grund-, Haupt- und Realschule (GHR) mit Vorschule und Hort in Hamm-Süd, einem sozialen Brennpunkt-Stadtteil in der Mitte Hamburgs. In diesem Stadtteil leben eine große Anzahl Sozialhilfeempfänger und viele Alleinerziehende. Über die Hälfte der Kinder haben einen Migrationshintergrund.
Seit dem 1. August 1998 ist die Schule eine offene Ganztagsschule, die seit dem Schuljahr 2003/04 alle Schüler der Klassen 5 bis 10 in den Ganztagsbetrieb bis 16:00 Uhr eingebunden hat. Die Grundschule endet dagegen um 13:00 Uhr; im Hort können die GrundschülerInnen allerdings bei Bedarf vor Unterrichtsbeginn ab 6:00 Uhr und im Anschluss an den Unterricht bis 18:00 Uhr betreut werden.
Die Schule Osterbrook hat zurzeit ca. 530 Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Herkunftsländern - damit spiegelt die Zusammensetzung der Schülerschaft die kulturelle Vielfalt des Stadtteils wider. In einer Vorschulklasse, acht Grundschulklassen und 15 Klassen der Sekundarstufe I arbeiten 40 Lehrkräfte und zwei SozialpädagogInnen. Zusätzlich beschäftigt die Schule Honorarkräfte, ohne die das vielgestaltige Nachmittagsangebot nicht möglich wäre.

Ein Schwerpunkt der Schule liegt in der Berufvorbereitung ab Klasse 5: Beim "Girl's Day", in zwei dreiwöchigen Betriebspraktika, einem Sozialpraktikum und verschiedenen berufsbildenden Projekten in Kooperation mit Firmen sowie in Einzelberatungen durch Mitarbeiter des Arbeitsamts in der Schule werden die Schüler in ihrem Berufsfindungsprozess angeleitet und begleitet. Ein besonderes Augenmerk im Unterricht liegt auf der Grundbildung am Computer und dem Umgang mit dem Internet schon in der Grundschule (Teil des Schulprogramms).
Die Ganztagsschule lebt von der Einrichtung von Mittagspausenangeboten (bes. Hausaufgabenhilfe) und von Nachmittagsveranstaltungen. Die SchülerInnen der Sekundarstufe I haben einen Klassenlehrer-Nachmittag. Auch einige Wahlpflichtkurse finden am Nachmittag statt. Ein Wahlpflichtkurs gilt als Unterricht - die SchülerInnen erhalten dafür Zensuren. Zusätzlich können die Schüler verschiedene Freizeitkurse wählen. Gegenstände der Wahlpflicht- und Freizeitkurse sind u.a. Schülerzeitung, Sterne und Weltall, Angeln, Breakdance, Fußball, Werken, HipHop, Grafik am PC, Videoproduktion, Schulband und nicht zuletzt Soziales Lernen (Schulsprecherausbildung, Sozialkurs und Streitschlichterkurs). Eine dementsprechende Repräsentanz des Schülerrats und dessen Aktivitäten auf der Homepage der Schule http://www.schule-osterbrook.de/schuelerrat/sr-aktionen.php sowie die Einrichtung eines "Demokratieraums" für die Schülersprecher zeigt den erhöhten Stellenwert, der der Schülerpartizipation beigemessen wird.
Ebenso wichtig für die Ganztagsschule wie die Nachmittagsangebote ist die aktive Gestaltung der einstündigen Mittagspause, die durch selbständig arbeitende Schülerteams betreut und angeleitet wird. Auch die Beaufsichtigung des Mittagessens und Mithilfe in der Kantine liegen teilweise in der Verantwortung von Schülerteams. Andere Schülerteams unterstützen in dieser Zeit die Lehrkräfte in der Grundschule durch Aufsichten und Begleitung bei Exkursionen. Diese Schülerteams gehen aus dem Sozialkurs hervor.
Neben der Teilnahme am BLK-Demokratie lernen & leben-Programm arbeitet die Schule außerdem mit dem BLK-Programm "FörMig - Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund", speziell mit dem Teilprogramm "Family Literacy" zur Förderung des Lesens und der Schriftsprache von Eltern und Kindern mit Migrationshintergrund, einem Programm, das in der Schule Osterbrook für Kinder der Vorschule und der 1. Klasse sowie deren Eltern eingesetzt wird.

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Unmittelbarer Kontext, Begründungen, Ziele

"Das haben wir schon!"

Als die erste Pädagogische Jahreskonferenz der GTS Osterbrook im Mai 2003 vorbereitet wurde, gab es bereits ein Schulprogramm (beschlossen im Juli 2000). Das Thema für die Konferenz - "Soziales Lernen und Schülermitverantwortung am Osterbrook" - war als Überprüfung der Zielerreichung und als praktische Weiterentwicklung des Schulprogrammpunktes „Schülerselbstorganisation in der Ganztagsschule“ angelegt (s. Tagesordnung PJK)Die Schule hat seit Beginn der Umwandlung in eine Ganztagsschule 1998 das Ziel, die Schüler zu mehr Selbständigkeit und Verantwortungsübernahme für sich und andere zu erziehen. In der Grundschule wurden Programme wie "Eigenständig werden" und "Fit und stark fürs Leben" eingeführt, und Vorformen des Klassenrats wurden erprobt, indem in "Morgenkreis" und "Erzählkreis" Gesprächs- und Verhaltensregeln vereinbart und geübt wurden. Für die Sekundarstufe rief die langjährige Beratungs- und Verbindungslehrerin Christiane Becker 1998 den Sozial- und Schulsprecherkurs im Wahlpflichtbereich ins Leben, denn es war immer schwieriger geworden, geeignete Kandidaten für das Schulsprecheramt zu finden:

"Ich hatte Probleme, Schüler zu finden, die was machen wollten. Und wenn es sie  gab, dann stellten sie sich in die Aula und sagten: 'wir wollen eine Disco machen,  eine Raucherecke einrichten und Negerküsse verkaufen'. Und das war's dann  auch."

Es wurde deutlich, dass die Schüler Anleitung und Unterstützung brauchten. Aber es war sehr schwierig, einen gemeinsamen Termin der Schülersprecher mit der Beratungslehrerin zu finden:

"Die Kollegen wollten die Schüler nicht aus dem Unterricht lassen, oder es wurde  eine Arbeit geschrieben, immer gab es Probleme. Und dann hatten wir die Idee,  einen Wahlpflichtkurs einzurichten, in dem die künftigen SchulsprecherInnen die  Kompetenzen für ihre Tätigkeit lernen und gemeinsam planen konnten",

berichtet Christiane Becker. Seither wählen jedes Jahr zehn bis fünfzehn, manchmal sogar zwanzig SchülerInnen den Schulsprecherkurs, weil sie sich in der Schule engagieren wollen. Das Schulsprecherteam besteht aus sieben amtierenden Sprechern und drei Assistenten (Zertifikat Schulsprechertätigkeit).
Die Schüler des Kurses sammelten in einer Ideenwerkstatt zunächst Vorschläge - z.B. eine Misswahl, den Pokal für Sauberkeit und Ordnung im Klassenzimmer (Schulsprecherteam: Bewertungsgrundlage „Schönste Klasse“, Urkunde „Schönste Klasse“ ), ein Fußballturnier und ein Sommerfest. Die Kurslehrerin half den SchülerInnen dabei, ihre Ideen umzusetzen. Das war nicht immer leicht, denn es fehlte nicht nur an Kenntnissen und Übung der SchülerInnen darin, wie man Projektideen in die Tat umsetzt - es war auch schwierig, die einzelnen LehrerInnen zu einer kooperativen Haltung zu bewegen.
Ferner gibt es den Sozialkurs , der auch von der Beratungslehrerin betreut wird. Bis zu zwanzig SchülerInnen wählen den Kurs und bilden die Schülerteams in der Mittagspause aus.
Es gab also einige gute Ansätze, einzelne Elemente für eine demokratische Schulentwicklung und einzelne KollegInnen mit demokratiepädagogischer Praxis. Eine einheitliche Orientierung über die weiteren Entwicklungswege der Schule in demokratiepädagogischer Hinsicht war jedoch noch kaum ausgebildet. Yvonne Hackbarth, Kollegin der Sekundarstufe und Demokratiegruppen-Sprecherin der Schule, fasst zusammen:  

"Als ich 1999 an die Schule kam, gab es zwar Schulprogrammarbeit und es ging  schon um die Sozialkurse und die Schulsprecher. Aber es gab noch kein Curri- culum. Erst 2003 haben wir begonnen zu sortieren, was wir haben und zu fragen,  wie man ein Curriculum von Klasse 1 bis 10 unter dem Aspekt 'Schülermitbestimmung - eigenständig werden' hinbekommt."

Die Schulleiterin Sabine Wolle hält das Großprojekt der Umwandlung in eine Ganztagsschule mit seiner Anforderung an strukturelle und inhaltliche Neukonzeptionierung für einen Auslöser der demokratiepädagogischen Entwicklung:

"Die Umwandlung ist auch heute noch ein Projekt, das seine Schwierigkeiten hat,  das noch Anlass für viele Gespräche und Konferenzen gibt. Wir haben gesehen,  wir brauchen die Mithilfe, die Mitverantwortung und das Engagement unserer  Schüler"
Es galt, vorhandene Schätze neu zu entdecken. So entstand die Idee einer Bilanzierung, auf deren Grundlage die weitere Entwicklung konzeptualisiert werden konnte.

Den Weg im Auge behalten! - Der strategische Blick

Wolfgang Steiner, der die erste Jahreskonferenz 2003 als Projektleiter betreute, erinnert sich:

"Die Schule kam mir im Frühjahr 2003 so vor, als ob es zwei Kollegien gäbe, ein  Grundschulkollegium und ein Restkollegium. Das Grundschulkollegium zeichnete  sich z.B. dadurch aus, dass es nach der allgemeinen Konferenz schon eine eigene  Stufenkonferenz hatte, die anderen nicht. Die Praxisansätze waren in der Grundschule gut erkennbar, in der Sekundarstufe nicht so deutlich."

Hier waren also schon Grundlagen für gemeinsame Reflexion und Planung gelegt und Anknüpfungspunkte zur Weiterentwicklung vorhanden. Die Schule hatte dann mit dem Vorhaben, auf einer Gesamtkonferenz 2003 das Schulprogramm hinsichtlich des sozialen Lernens zu evaluieren, den ersten Schritt zur gemeinsamen Entwicklungsarbeit getan. Hilfreich kann in dieser Situation der fremde Blick von außen sein. Das BLK-Programm "Demokratie lernen & leben" kam hierzu wie gerufen. Die Vorbereitungsgruppe für die Pädagogische Jahreskonferenz im Mai 2003 war weitgehend identisch mit der neu gebildeten Demokratiegruppe. Der Projektleiter im Rückblick:

"Ab diesem Punkt ist etwas Besonderes passiert: dass diese pädagogische Jahreskonferenz über einige Jahre hinweg stattfindet, dass die Schule einen roten Faden  entwickelt, eine Steuerstelle, an der Ziele formuliert werden, und geprüft wird,  was im vorangegangenen Jahr in den einzelnen Schulstufen erreicht wurde. Wenn  dieses Format PJK zur Tradition wird, dann hat die Schule Osterbrook eine Form  gefunden, wie sie über sehr lange Zeit den Entwicklungsprozess planen kann".

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