Demokratie lernen und leben in historischen Projekten
Inhalt dieses Bausteins
Durch historische Projektarbeit findet eine authentische und auf die Lebenswelt der Jugendlichen bezogene Auseinandersetzung mit Geschichte statt. Im Zentrum steht dabei das lebendige Erfahren von Geschichte durch das Arbeiten im (all-)täglichen Umfeld, durch Zeitzeugenbefragungen - auch persönlich bekannter oder verwandter Menschen. Anhand der Arbeit mit der Vergangenheit durch Zeitzeugen aus dem 20. Jahrhundert, wie der NS-Zeit oder der DDR-Zeit, kann konkret und gegenwartsbezogen das aktuelle Leben der Schülerinnen und Schüler in einer Demokratie mit den Wirkungsweisen (wenn auch sehr unterschiedlicher) autoritärer Staatsformen kontrastiert werden. Dies birgt jedoch die Gefahr einer Simplifizierung in die "böse bzw. schlechte Vergangenheit" und die "gute Gegenwart", der entgegengewirkt werden sollte - etwa durch das Thematisieren von Nachwirkungen oder durch das Aufzeigen der Notwendigkeit, sich aktiv für den Erhalt demokratischer Zustände einzusetzen. Die authentischen Erfahrungen bieten neue Bezugspunkte zur Identifikation mit der Region und der Gesellschaft sowie den Werten und Lebensweisen in einer Demokratie.
Oral History hat in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend in der Foschung an Bedeutung gewonnen. Die Konstruktion von Geschichte und Geschichtsbildern jeweils in ihrer Zeit ist heute allgemein anerkannt. Oral History ist eine Disziplin der Geschichtswissenschaft geworden, die insbesondere bei der Erarbeitung von Alltags- und Lokalgeschichte eine wesentliche Rolle spielt. Sie ist als Methode auch in der Schule anwendbar und geeignet, die Medien- und Methodenkompetenz der Lernenden zu stärken und das historische Bewusstsein zu fördern und damit eine demokratiepädagogische Arbeitsmöglichkeit in der Schule.
Insbesondere das Konzept der Oral History, also das Befragen von Zeitzeugen, spielt eine große Rolle. Oral History befragt Zeitzeugen nach ihren subjektiven Erlebnissen. Sie erforscht die Geschichte des Alltags und lässt sie vor den Augen der Schülerinnen und Schüler lebendig werden. Anhand eines Themas, das - wie z.B. "Bildungssystem" - nicht unbedingt direkt mit den "großen" historischen Ereignissen bzw. den traditionellen Inhalten des Geschichtsunterrichts verknüpft ist, findet eine umfassende und sachbezogene Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der Eltern- und Großelterngeneration statt, anhand derer dann Fragen wie die folgenden reflektiert werden können:
- Wie prägend sind politische Systeme und Gesellschaftsformationen?
- Wie hätte ich mich verhalten?
- Was ist heute anders?
Neben diesen auf die Schülerinnen und Schüler fokussierten Aspekten des Demokratielernens wirken solche Projekte auch auf anderen Ebenen der Schulentwicklung:
In der Regel beinhalten sie intensive Kooperationen mit lokalen Institutionen - Museen, Vereinen, Lokalzeitungen, Hochschulen, religiösen Institutionen - aus der näheren Umgebung. Zum einen sind diese Institutionen notwendige Partner und Anlaufstellen, wenn es um Recherche in Archiven oder Zugänge zu Zeitzeugen außerhalb der Familien geht. Zum anderen, und das ist viel wesentlicher für die Schulentwicklung, haben diese Einrichtungen häufig ein eigenes Interesse an den Forschungen der Schülerinnen und Schüler und engagieren sich entsprechend. Dies schlägt sich in Ausstellungen der Schülerarbeiten in Museen und gemeinsamen Veranstaltungen usw. nieder. Insofern trägt diese Form des Geschichtsunterrichts zur nachhaltigen Kooperationen mit außerschulischen Partnern bei, da häufig aus einem Projekt das nächste entsteht.
Zudem lassen sich die Ergebnisse innerhalb der eigenen Schule aber auch darüber hinaus (Leihgaben an andere Schulen) als Unterrichtsmaterial im Geschichts-, Deutsch- oder Sozialkundeunterricht nutzen: Filme, Broschüren, Ausstellungen etc. können in folgenden Jahrgängen aufgegriffen werden und regen - neben der konkreten Auseinandersetzung - auch zur Entwicklung weiterer, eigener Projekte der Folgejahrgänge an.
06.11.2005
Helga Güter (verantwortlich), Tilman Lutz
Schlagworte: Geschichtsprojekte, Kooperation mit außerschulischen Partnern, Werte- und Moralentwicklung, Programmthemen