John-F.-Kennedy Schule- Deliberationsforum an der John-F.-Kennedy-Schule, 06.06.2005
Deliberation ist eine Form der politischen Meinungsbildung, die kontroverse Themen durch „deliberieren“ – abwägen und aushandeln – auf einen möglichst breiten Konsens stellen will. Deliberieren und debattieren sind Formen des demokratischen Sprechens aus dem Bereich der Civic education, die in den USA ein weitaus entwickelter und feststehender Begriff zur Förderung zivilgesellschaftlichen Verhaltens ist. Nicht nur in politischen Entscheidungsprozessen hat man festgestellt, dass geregelte und transparente Formen der Beteiligung an Diskussionen den Konsens oder zumindest die Bereitschaft zur Kooperation auch bei einer gegnerischen Mehrheitsentscheidung nachweislich fördern.
And finally, ... I discovered my talents
Spontan und ein wenig von sich selbst überrascht, formulierte die Schülerin Mercedes vor einer Gruppe interessierter Eltern, Journalisten und Lehrern, was für sie die Quintessenz des zweitägigen Deliberationsforums war: Fähigkeiten zu entdecken, von denen sie nicht ahnte, dass sie in ihr steckten. Gemeinsam mit der 9. Klasse der Berliner John-F.-Kennedy-Schule hat Mercedes in diesem Schuljahr das Deliberationsforum vorbereitet, das letzte Woche, am 25. und 26. Mai 2005 in der Aula der John-F.-Kennedy-Schule stattgefunden hat.
Was ist Deliberation?
Deliberation ist eine Form der politischen Meinungsbildung, die kontroverse Themen durch „deliberieren“ – abwägen und aushandeln – auf einen möglichst breiten Konsens stellen will. Deliberieren und debattieren sind Formen des demokratischen Sprechens aus dem Bereich der Civic education, die in den USA ein weitaus entwickelter und feststehender Begriff zur Förderung zivilgesellschaftlichen Verhaltens ist. Nicht nur in politischen Entscheidungsprozessen hat man festgestellt, dass geregelte und transparente Formen der Beteiligung an Diskussionen den Konsens oder zumindest die Bereitschaft zur Kooperation auch bei einer gegnerischen Mehrheitsentscheidung nachweislich fördern.
Die Idee zur Durchführung des Deliberationsforums kommt aus den USA. Als unterstützende Maßnahme der Meinungs- und Faktenbildung wird es dort für qualitativ fundiertere Wahlentscheidungen eingesetzt. Kenntnisse und Meinungen über ein kontroverses Thema werden anhand eines Fragebogens gemessen, den die beteiligte Gruppe vor und nach dem Deliberationsforum anonym ausfüllt. Die Fragebogenergebnisse nach einem Deliberationsforum sprechen für sich: Ein Zuwachs von mehr als 80% bei den Sachfragen und mehr als 20% bei den Meinungsfragen.
Die 23 Schüler/-innen der Klasse 9c der John-F.-Kennedy-Schule diskutierten in englischer Sprache an den zwei Tagen ihr Thema „Ist Deutschland durch Terrorismus besonders gefährdet?“ zunächst mit Experten, am folgenden Tag mit Politikern und unter Beteiligung des gesamten 9. Jahrgangs.
Ablauf
Der Ablauf der zwei Tage Deliberation an der John-F.-Kennedy-Schule sah dann auch wie folgt aus:
1. Tag
- Lesen des Informationsblattes über das zu diskutierende, kontroverse Thema
- Ausfüllen des Fragebogens
- Diskussionsrunde mit Experten zu den Themen:
Islam: Johann Büssow, FU-Berlin
Terrorismus: Mark Koumans, American Embassy
Innere Sicherheit: Herr Zu, Landesamt f. Verfassungsschutz
Int. Zusammenarbeit: Susanne Welter, Auswärtiges Amt
Menschenrechte: Dr. Wolfgang Heinz, Deutsches Institut f.
Menschenrechte
Religion: Cornelia Oswald, Religionspädagogin - Vertiefung der Diskussion in Kleingruppen, Auswertung der Kleingruppen
Ende der 1. Runde
2. Tag
- 2. Diskussionsrunde mit Politikern:
Hans-Ulrich Klose, SPD
Roland Gewalt, CDU
Michael Knoll, Grüne
Karin Hopfmann, PDS - Vertiefung in Kleingruppen und gemeinsame Auswertung im Plenum
- Ausfüllen des Fragebogens
Nach dem Forum: Auswerten der Fragebögen
Warum Deliberationsforen für Schüler/-innen?
Durch Deliberationsforen in der Schule erwerben Schülerinnen und Schüler Fertigkeiten in Moderationstechniken, Projektmanagement, eigenständigem, wissenschaftlichem Erarbeiten von komplexen und kontroversen Themenbereichen in kooperativen Arbeitsformen und lernen die Bedeutung der Feedback-Kultur schätzen. Diese Kompetenzen sind wichtige Voraussetzungen für demokratisches und politisches Handeln.
Das Deliberationsforum in der wurde John-F.-Kennedy-Schule auf der Basis von fächerübergreifendem Unterricht (Deutsch, Englisch und Geschichte) in den regulären Unterricht einer 9. Klasse integriert. Die Entscheidung für das Forum geht auf Claudia Zarikow zurück, die amerikanische Englischlehrerin der 9c. Sie hat ihre beiden Kollegen, Uwe Siempelkamp (Geschichte) und Thomas Koch (Deutsch) überzeugen können, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Ein Abenteuer oder zumindest ein Experiment war es. Anne Sliwka, Projektleiterin des BLK-Programms „Demokratie lernen und leben“ in Baden-Württemberg und Mitarbeiterin bei der Freudenbergstiftung, benutzte zum Abschluss des Forums hierfür das Bild von amerikanischen Pionieren, die sich vom Osten an die amerikanische Westküste begaben. Sie wussten auch nicht, worauf sie sich einließen, welche Abenteuer sie auf dieser Reise zu bestehen hatten. Sie wussten aber, dass sie am Ende etwas Neues entdecken würden, von dem es hieß, dass sich die Mühe lohnt.
Dank den Ausführungen von Mercedes hatten ihre Zuhörer sehr wohl den Eindruck, dass die meisten Schülerinnen und Schüler der 9c durch die multiplen und komplexen Anforderungen bei der Vorbereitung des Forums an den derzeit aktuell geforderten Sach-, Handlungs- und Sozialkompetenzen gewonnen haben. Ein Verdienst, das zuvorderst den drei Lehrer/inen zugesprochen werden muss. Nicht zuletzt haben sich die Schüler/-innen das historisch-politische Thema: „Ist Deutschland von Terrorismus besonders gefährdet?“ nach einem intensiven Entscheidungsprozess selbst gewählt. Dass die Lehrer die Wahl des Themas akzeptiert haben, spricht für den demokratischen Prozess der Entscheidung. Welche intellektuellen Anforderungen dieses Thema stellt und stellen würde, war sicherlich den wenigsten im September 2004 klar. Sie haben viel gelernt: Vom Aneignen des Themas, dem Umgang mit dessen Vielschichtigkeit, dem Herunterbrechen der komplexen Sachinformationen aus Printmedien auf das Verständnis von 15-Jährigen – in kooperativen Lernformen, in denen der Lehrer Berater und nicht Belehrender ist – bis hin zur Präsentation der Einzelinformationen auf der Basis der Moderationstechnik und schließlich der multiplen Aufgabenverteilung für die Organisation des zweitägigen Forums. Das alles ist nicht ohne Konflikt beladene aber auch heilende Prozesse abgelaufen. Nicht nur einmal gab es Aussprachen zwischen den Lehrer/-innen und den Schüler/-innen untereinander, die sich überfordert fühlten und alles hinwerfen wollten. Darüber hinaus meldeten auch die Eltern ihre Zweifel an, ob die Intensität dieser Arbeit tatsächlich den eingeforderten Kenntnissen einer 9. Klasse entgegenkommen würde.
Dass diese Thematik genügend Stoff für den Erwerb komplexer Kompetenzen beinhaltet, steht außer Frage: zum Beispiel wie man gute Fragen formuliert, die klare Antworten ermöglichen, den Angesprochenen nicht in Verlegenheit bringen und zu einem weiteren Gespräch anregen. Darauf mussten sich die 23 Schüler/-innen vorbereiten, um mit Wissenschaftlern und Politikern das Terrorismusthema zu diskutieren. Sie alle sind Expert/-innen geworden, über die innere Sicherheit, über religiösen Fundamentalismus, einzelne terroristische Gruppen, die Entwicklung des Terrorismus seit 1995 und über Integrationspolitik in Deutschland. Gemeinsam haben sie ein ausführliches Informationspapier zusammengestellt, das sich sehen lassen kann.
Deliberationsforum an der John-F.-Kennedy-Schule
Dass schüler- und handlungsorientierte Projekte in Schulen nicht die Ausnahme, sondern die Regel werden, dafür setzt sich das Schulentwicklungsprogramm der Bund-Länder-Kommission „Demokratie leben & lernen“ ein. Gerade die erwähnten Methoden der Civic education sind Bausteine des Programms, das seit 2002 in 13 Bundesländern durchgeführt wird.
Deliberationsforen in die Welt der Schule zu bringen ist das Verdienst von Dr. Anne Sliwka, die nie einen Hehl aus ihrer Begeisterung an anglo-amerikanischen Unterrichtsmodellen gemacht hat. Bis jetzt sind es in Berlin vier Schulen, die nach einem gemeinsamen Workshop im letzten August auf ganz unterschiedliche Weise diese Organisationsform für sich nutzen wollen. Anne Sliwka hat mittlerweile ein Team von professionellen Unterstützerinnen um sich, die Schulen bei den Gelingensprozessen ihrer Projekte unterstützen. Ohne die engagierte und aufmunternde virtuelle und persönliche Präsenz von Silvia Lauble und Sandra Reinmuth wäre auch das Deliberationsforum an der John-F.-Kennedy-Schule nicht so erfolgreich ausgefallen.
Die in Berlin beteiligten 22 Schulen von „Demokratie lernen & leben“ können sich dank eines Fortbildungsbudgets Unterstützung bei der Durchführung ihrer Projekte sichern. Die John-F.-Kennedy-Schule ist eine von ihnen. Einhellig haben die drei Lehrer/-innen unterstrichen, dass Schulprojekte und somit auch Schulentwicklung die Hilfe von externen Beratern und Experten brauchen.
Das Deliberationsforum für die Öffnung von Schule
Der Erfolg des Deliberationsforums stellte sich gleich am ersten Tag in mehrfacher Hinsicht ein. Die Experten waren alle beeindruckt von der inhaltlichen und der organisatorischen Qualität des Forums. Die Diskussion auf dem Podium verlief deshalb die ganze Zeit auf Augenhöhe. Man spürte als Zuhörer regelrecht den Respekt der Experten, darunter Islam-Wissenschaftler von der Freien Universität, Vertreter der American Embassy oder des Verfassungsschutzes, gegenüber den Moderator/-innen aus der 9c. Und diese hatten einen harten Job. Mussten sie doch den Redefluss jedes einzelnen Diskussionsteilnehmers auf strikte 3 Minuten begrenzen. Auch am nächsten Tag beeindruckte die Schülerleistung die Politiker, die von allen namhaften Parteien des Bundestages der Einladung gefolgt waren. Hans-Ulrich Klose, SPD-Präsidiumsmitglied, und Roland Gewalt, CDU, diskutierten genauso kontrovers und vehement ihre Standpunkte zur inneren Sicherheit und der Rolle der Bundesrepublik im Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan und im Irak, wie sie es wohl auch im Bundestag getan hätten.
Wenn Schülerinnen und Schüler ihre Talente durch diese umfangreiche Projektform entdeckt haben, dann ist das schon viel. An beiden Tagen haben alle 23 Schüler/-innen bewiesen, dass sie mit Hilfe ihrer Lehrer/-innen und den Trainerinnen in der Lage sind Feedback zu geben und Selbstreflexion zu leisten. In den 15-minütigen Feedback-Runden, jeweils nach den beiden Diskussionstagen, haben die Schüler/-innen den Wert des Forums realistisch einschätzen können. Trotz der positiven Bilanz meinten sie, dass den Neunt-Klässlern eine intensivere Vorbereitung auf das komplexe Thema den Zugang zum Forum und seiner Funktion erleichtert hätte. Dank der daraufhin formulierten Verbesserungsideen konnte die Zufriedenheit aller am zweiten Tag gesteigert werden. Feedback-Runden – einander zuhören und sachlich diskutieren -, das spürte man als Zuhörer, sind bekannte Formen zivilgesellschaftlichen Lernens, die diese Schüler/-innen kennen.
Mehr Informationen zu Deliberation und dem Deliberationsforum finden Sie unter:
http://www.deliberationsforum.de