Albert-Schweitzer-Grundschule, Eine Gemeinschaft aus Individuen – die Albert-Schweitzer-Grundschule Langen in der Demokratieentwicklung, Oktober 2004
Mit dem Mediationsansatz hat die Albert-Schweitzer-Grundschule eine Methodik gefunden, aus ihrer heterogenen Schulgemeinschaft eine demokratische Schulgemeinschaft zu formen. Feste Regeln und Verfahren der Konfliktregelung sowie die Institutionalisierung des Klassenrates schaffen einen Rahmen, in dem sich Persönlichkeiten entfalten können und ein respektvolles, bereicherndes Miteinandermöglich ist.
Onur geht in die vierte Klasse der Albert-Schweitzer-Grundschule in Langen. Beim 40-jährigen Jubiläumsfest der Schule steht er auf der Bühne und sagt etwas über sich: „Ich habe zwei Seiten. Eigentlich bin ich ziemlich cool. Ich kann auch nicht alles, aber eines kann ich: tanzen.“ Onur ist einer der Schüler, die Lehrer/-innen als „schwierig“ bezeichnen würden. Sowohl was verbale als auch körperliche Aggressionsbereitschaft betrifft, ist er nicht gerade zimperlich. Onur weiß das, und er hat eine große Stärke: er kann Breakdance und bietet darin Kurse für Mitschüler an. Damit hat er großen Erfolg und ist sehr stolz darauf. Onur hat seinen Platz in der Schulgemeinschaft gefunden, er wird akzeptiert und geschätzt mit allen seinen Stärken und Schwächen. Und er hat Möglichkeiten gefunden, mit sich selbst umzugehen und Selbstbewusstsein zu entwickeln.Wulfhild Schwietzer, Schulleiterin an der Albert-Schweitzer-Grundschule, will eine (Schul-)Gemeinschaft aus Individuen schaffen und nicht ein Kollektiv. Ihre Schüler/-innen sollen lernen, mit Unterschieden zu leben und produktiv mit ihnen umzugehen. Dazu bedarf es eines festen und verlässlichen Rahmens. So hat sich die Schule eine Art „Verfassung“ gegeben, die in der Diskussion mit Schüler/-innen, Eltern und Lehrer/-innen entstanden ist: eine Liste mit Rechten und Pflichten für alle am Schulleben Beteiligten. In der Liste ganz oben steht: „Ich habe das Recht, so angenommen zu werden, wie ich bin. Ich habe die Pflicht, andere so anzunehmen, wie sie sind.“ Dies sind wohl auch die Leitsätze für das Leben und Zusammenleben an der Schule.Die Schulgemeinschaft besteht aus einer Vielzahl unterschiedlicher Individuen. Allein 35 % der Schüler/-innen sind Kinder mit Migrationshintergrund, davon kommen ca. 10 % aus Aussiedlerfamilien. Vor ca. sechs Jahren stand die Schule vor einem großen Problem.
Aufgrund der schwierigen Lebenssituation vor allem vieler Aussiedlerkinder häuften sich die Verhaltensauffälligkeiten unter den Schüler/-innen. Schulleitung und Kollegium wollten handeln und Wege finden, die Probleme anzugehen. Sie wählten den Ansatz der Mediation und ließen sich fortbilden. Inzwischen haben sehr viele Lehrer/-innen an der Schule eine Ausbildung und arbeiten mit dem Ansatz. Besonders hilfreich empfanden die Lehrkräfte die Mediationsmethoden, weil sie zu neuen inneren Haltungen führten. „Wir reflektierten unsere Lehrerrolle und unseren eigenen Umgang mit Konflikten“, erinnert sich Petra Schröter, Lehrerin an der Schule. Langsam hätten sie gelernt, den Kindern dabei zu helfen, ihre Konflikte selbst zu lösen, sich nicht mehr parteiisch zu verhalten und zu meinen, alles regeln und in die Hand nehmen zu müssen, sagt sie im Rückblick.
Ausgestattet mit einem festen Vorgehen bei Konflikten lösen die Schüler/-innen ihre Konflikte inzwischen weitgehend selbst. Sie haben eine neue Gesprächskultur entwickelt, teilen sich in Ich-Botschaften mit, wie sie sich fühlen, was die Gründe für den Konflikt aus ihrer Sicht sind, formulieren an den anderen ihre Erwartungen und treffen Vereinbarungen. Wenn ein Konflikt zu groß ist oder zu viele Kinder betrifft, stehen weitere Möglichkeiten bereit. Wulfhild Schwietzer und Petra Schröter bieten in besonders schwierigen Fällen professionelle Mediationsgespräche an und haben auch sonst immer ein offenes Ohr für ihre Schüler/-innen. Außerdem hat sich an der Schule die Institution des Klassenrates etabliert. Hier besprechen die Schüler/-innen in der Klasse nach einem festen Schema die sie betreffenden Themen unter eigener Regie. Die Lehrer/-innen protokollieren nur noch. „Was war gut? Was war schwierig? Was schlage ich vor?“ sind neben den Mitteilungen der Klassenvertreter, der Verteilung von Klassendiensten und Planung von Aktivitäten die Leitfragen für die Sitzung des Klassenrates. „Das Verantwortungsgefühl der Schüler/-innen hat deutlich zugenommen“, resümiert Petra Schröter die Erfolge.
Die einzelnen Schüler/-innen und die Klassen als Ganzes hätten zu mehr Eigenständigkeit gefunden und eine demokratische Grundhaltung entwickelt. Dazu zählt sie, dass alle aufeinander hören, aufeinander eingehen, sich an gemeinsame Beschlüsse halten.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu der demokratischen Schulgemeinschaft, die Wulfhild Schwietzer und ihr Lehrerkollegium vor Augen haben: ein bewegtes Miteinander, das jeden in seiner Persönlichkeit entwickelt und aus den Unterschieden ein besonderes Ganzes wachsen lässt.
Schulbeschreibung:
Die Albert-Schweitzer-Grundschule liegt in einem eher kleinstädtischen, gemischten sozialen Umfeld. Die Schüler/-innen kommen aus der direkten Umgebung. Über 14 Nationen sind in der Schule vertreten. Der Migrantenanteil der Schülerschaft liegt bei mehr als 30%. In der Schule gibt es ein Nachmittagsangebot und Gruppenunterricht.