Politik-Didaktik. Praxishandbuch für Sekundarstufe I und II
Reinhardt, S. (2005). Politik Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin: Cornelsen Scriptor. 256 S. Kartoniert: 19,95 Euro. ISBN 3-589-22051-1
Demokratie-Lernen als ein Leitmotiv in Sibylle Reinhardts Publikationen
Sibylle Reinhardt ist seit 1994 Professorin für Didaktik der Sozialkunde am Institut für Politikwissenschaft der Universität Halle. Beteiligt hatte sie sich an der Publikations-Reihe „Beiträge zur Demokratiepädagogik“ des BLK-Programms „Demokratie lernen und leben“ bereits im November 2004 mit ihrem Beitrag „Demokratie-Kompetenzen“, der auf der Grundlage einer Expertise zu einem Kerncurriculum Politik für die Sekundarstufe II entstand. Diese Expertise erstellte sie zusammen mit ihren Kollegen Behrmann, Grammes und Hampe für die Kultusministerkonferenz (KMK). Neben ihren Untersuchungen und Überlegungen zum „Beruf des Politiklehrers“, zu „Qualifikationen und Kompetenzen der politischen Bildung“ und zum Thema „Jugend und Politik“ widmet sie dem Thema „Demokratie-Lernen“ nun auch im ersten Teil [„Grundlegungen“] ihrer neuen „Politik Didaktik“ ein eigenes Kapitel. Dabei unterscheidet die Autorin – ähnlich wie das BLK-Programm – zwischen „Demokratie im Schulleben“ und „Demokratie im Unterricht“ und weist der Schule insgesamt eine besondere Verantwortung beim Erwerb von Kompetenzen für den Umgang mit Demokratie zu: „Die Schule liefert als Institution solche Gelegenheiten des Zusammenlebens, die über das Ich und die Kleingruppe hinausgehen, und kann deshalb soziales Lernen fördern und zu politischem Lernen ausweiten. Der Unterricht hilft beim Sammeln, Ordnen, Strukturieren und Bewerten von Eindrücken aus dem Alltag und fördert die Bildung angemessenerer Konzepte für das Sehen, Beurteilen und Handeln gemeinsamer Angelegenheiten.“ [S. 54]
Schon in diesem Kapitel zeigen sich die Vorzüge der neuen „Politik Didaktik“ von Sibylle Reinhardt: Der Autorin gelingt es immer wieder, Sachverhalte und Probleme nicht nur angemessen und auf der Grundlage ihrer eigenen umfangreichen Praxiserfahrungen anschaulich darzustellen, sondern sie mit Hilfe der Befunde einschlägiger empirischer Studien plausibel zu bewerten und Perspektiven der Entwicklung aufzuzeigen. Dabei stützt sie sich auf ihre vielfältigen Erfahrungen als Praktikerin als langjährige Gymnasiallehrerin, Fachleiterin und Fachberaterin und andererseits als Empirikerin, vor allem durch verschiedene sozialwissenschaftliche Studien [zuletzt die so genannte Sachsen-Anhalt-Studie „Jugend und Demokratie“, vgl. Krüger/Reinhardt, 2002] ausgewiesen. Reinhardt untersucht dabei nicht nur Rahmenbedingungen, Wirkungsmöglichkeiten und Akzeptanz traditioneller repräsentativer Formen der Beteiligung wie der SV, sondern sie nimmt auch andere Partizipationsformen in den Blick und fragt kritisch nach dem Zusammenhang von schulischer Beteiligung und späterer politischer Beteiligungsbereitschaft der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Auch wenn sie die Gefahr eines möglichen Missbrauchs zu Lasten des Schulfaches Sozialkunde/Politik durchaus sieht, spricht sich die Autorin explizit dafür aus, „Demokratie-Lernen“ zum Fächer übergreifenden Unterrichtsprinzip zu machen und damit die Schule als Ganzes in die Pflicht zu nehmen.
Auch mit dem BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“ setzt sich die Autorin in einem eigenen Abschnitt wohlwollend kritisch auseinander. Zunächst umreißt sie kurz Zustandekommen, Umfang und Konzeption des Programms, um dann zur Kernfrage (nach mittel- und langfristigen Wirkungs- und Transferchancen) zu kommen: wie kann der Gang vom sozialen Nahraum der Schule in die „politisch-demokratische Systemebene mit den notwendigen Verallgemeinerungen und Universalisierungen (des Denkens und Wertens)“ [S. 71] gelingen? Das Gelingen dieses Transferschrittes beurteilt Reinhardt deutlich skeptischer als das dem BLK-Programm zugrunde liegende Gutachten von Edelstein/Fauser. Sie vermisst im BLK-Programm die Reflexion jahrzehntelanger Erfahrungen von Politikunterricht und Politikdidaktik und „die kalkulierte Kooperation von Schulleben und Politikunterricht“ [S. 72], wendet sich aber gleichzeitig dezidiert gegen die „schiefe Kontroverse ‚Demokratie- versus Politik-Lernen’“ [ebd.], die man überhaupt nur dann verstehen könne, wenn die Programminhalte und deren Umsetzung deutlich verkürzt dargestellt und „Demokratie lediglich als alltagsweltliche Nahraum-Kategorie sozialen Lernens in Primärgruppen aufgefasst“ [ebd.] werde.
Fachdidaktische Prinzipien und Methoden
Im zweiten, dem Hauptteil des Buches, arbeitet die Autorin dabei umsichtig sechs fachdidaktische Prinzipien des Politikunterrichts heraus: Konfliktorientierung, Problemorientierung, Handlungsorientierung, Fallprinzip, Zukunftsorientierung und politisch-moralische Urteilsbildung. Dabei berücksichtigt sie die Ergebnisse einer breit angelegten fachdidaktischen Diskussion, die seit den 1980er Jahren besteht. Die Qualität und der Nutzwert des Kapitels auch für den Unterrichtspraktiker besteht aber nicht allein in der Definition und Erläuterung dieser Prinzipien, die sich mehr oder weniger auch in allen neueren Lehrplänen des Fachs bzw. Fachbereichs wiederfinden, sondern in der Kombination mit der ausführlichen, exemplarischen Beschreibung der jeweils adäquaten Methode(n), deren Durchführung dann an konkreten und aktuellen Praxisbeispielen veranschaulicht und reflektiert wird.
In den folgenden Teilen und Kapiteln des Buches werden aufbauend auf diesem Fundament mit Blick auf die gymnasiale Oberstufe (Teil III) Stufen und Niveaus des Lernens analysiert und spezifische Methoden des Politik-Lernens in der Sekundarstufe II und der Wissenschaftspropädeutik vorgestellt und deren Verfahren kritisch reflektiert. Im Teil IV Verfahren liegt der Fokus der Betrachtung auf der Darstellung neuerer interaktiver Methoden des Politikunterrichts, im Besonderen des Rollenspiels und der verschiedenen Varianten des Streitgesprächs. Dabei legt die Autorin mit Recht großen Wert auf eine didaktische Reflexion, die sich nicht mit dem motivationalen Erfolg des Rollenspiels zufrieden gibt, sondern dessen inhaltlichen Sinn kritisch hinterfragt, indem sie die notwendige Problematisierung und Distanz zur übernommenen Rolle herausstellt, starre Rollenmuster vermeidet und für die kritische Reflexion des Verlaufs und der (Lern-)Ergebnisse eine zeitlich ausreichende Feedback-Phase ermöglicht. Im letzten Teil des Buches Die Planung des Unterrichts behandelt die Autorin Fragen der Unterrichtsvorbereitung, der normativen Dimension des Lernens im Sozialkundeunterricht sowie des alltagsbezogenen wie fachlichen Wissenserwerbs bei Lehrenden und Lernenden und schließlich die exemplarische Darstellung von Unterrichtsentwürfen. Abgerundet wird die Publikation durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein hilfreiches Sachregister.
Fazit
Die „Politik Didaktik“ von Sibylle Reinhardt verspricht zwar kein wirklich neues Konzept für einen modernen Politikunterricht, aber sie bietet eine immer theoretisch fundierte, erfahrungsgesättigte und praxisnahe Analyse der schulischen Lehr- und Lernbedingungen, eine an aktuellen Beispielen veranschaulichte Darstellung der fachdidaktischen Prinzipien und Methoden und eine ausgewogene Diskussion des Themenfelds „Demokratie-Lernen“. Das Praxishandbuch kann daher nicht nur Referendar/-innen und ihren Ausbilder/-innen, sondern auch allen Politiklehrer/-innen und den Koordinator/-innen der Programmschulen nachdrücklich empfohlen werden.
28.12.2005
Hans Berkessel (Projektleitung „Demokratie lernen & leben“, Rheinland-Pfalz)
Schlagworte: Demokratiepädagogik (allg.)