Beteiligung fördern durch Zukunftswerkstätten & Zukunftskonferenzen
Die Methode der Zukunftswerkstatt
Herkunft und Entwicklung
Hintergrund für die Entstehung der Methode der Zukunftswerkstatt war die Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Machtstrukturen im Zusammenhang der Protestbewegung der 1968er Jahre. Ausgehend von der grundlegenden Kritik, dass wichtige Entscheidungen zumeist von Experten und unter Ausschluss derjenigen getroffen werden, die später betroffen sind, suchte der Zukunftsforscher Robert Jungk damals nach neuen Formen einer Mitbestimmung und aktiven Beteiligung möglichster vieler Menschen an der Gestaltung der Zukunft. Ziel war es, eine lebendige Demokratie von unten zu schaffen und Partizipation an der individuellen und gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung zu fördern.
Ergebnis dieser Suche war die Entwicklung der Methode der Zukunftswerkstatt.
In einer solchen Werkstatt arbeiten Menschen zu einer bestimmten Fragestellung, einem spezifischen Problem oder einer Planungsaufgabe mit Hilfe einer klaren methodischen Struktur zielgerichtet an der Lösung des Problems bzw. an der Entwicklung von Zielen.
Dabei basiert die Methode grundlegend auf den Annahmen, dass
- die Menschen selbst über das notwendige Wissen bezüglich ihrer Lebensumstände und zur Lösung entsprechender Probleme verfügen und dass
- sie Phantasien, Wunschvorstellungen und Träume über ideale und anstrebenswerte Zustände haben (vgl. Dauscher S. 97 f.)
Die Zukunftswerkstatt setzt damit nicht nur ein basales Vertrauen in die Problemlösungskapazitäten und kreativen Fähigkeiten ihrer Beteiligten, sondern aktiviert und mobilisiert diese auch gezielt durch ihre spezifische methodische Struktur.
Kennzeichnend für die Werkstatt ist das sogenannte Drei-Phasen-Modell. Es ist bereits seit Ende der 70er Jahre – trotz verschiedener methodischer Feingestaltungen und Weiterentwicklungen (vgl.: http://www.brangsch.de/partizipation/neue%20formen%202.htm) – das zentrale Grundschema der Methode.
Verlauf der Methode
1. Beschwerde- und Kritikphase
In dieser Phase wird die Gegenwart kritisch in den Blick genommen. Die Kritik, das Unbehagen, der Frust, die Probleme – also alles das, was die Gegenwart bezüglich der Thematik belastet – wird zusammengetragen und in möglichst präzisen Kritikpunkten formuliert. Am Ende dieser Phase sind alle problematischen Faktoren zum Thema sichtbar und zeigen ein umfassendes Bild des Problemzustandes.
2. Phantasie- und Utopiephase
Nun wird die gegenwartsbezogene Kritik vollständig verlassen und der Blick in die Zukunft gerichtet. In der Visionsphase entwickeln die Teilnehmenden das Bild einer Zukunft, in der alles möglich ist, in der sich alle ihre Wünsche erfüllt haben, in der sie so leben und arbeiten, wie es für sie optimal ist. Im Mittelpunkt dieser Phase stehen die Wünsche, Träume und Visionen der Beteiligten. Der Kreativität und Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Alles ist möglich. Dieser Teil endet mit einer anschaulichen, lebendigen und phantasievollen Präsentation der Visionen der Teilnehmenden.
Dieser methodische Schritt, die Kritik zu verlassen und den Visionen Raum zu geben, basiert auf der Überzeugung, dass Ziele dann die größte Chance auf Umsetzung haben, wenn sie von der Kraft der Wünsche und Visionen getragen sind. Nur dann werden sich die Menschen für die Erreichung ihrer Ziele wirklich aktiv engagieren.
3. Realisierungs- und Umsetzungsphase
Nun werden - abgeleitet aus den Visionen - konkrete Ziele formuliert und erste Umsetzungsschritte für die Erreichung dieser Ziele geplant. Die Entwicklungsmöglichkeiten der Gegenwart werden aus der Zukunftsperspektive betrachtet, das übliche lineare Denken wird damit unterbrochen. Die zentrale Frage in dieser Phase lautet: Wie komme ich meinen Visionen näher? Eine Verbindung zwischen dem Ist-Zustand und dem gewünschten Zustand, der Vision, wird hergestellt und konkrete Handlungsschritte werden entwickelt.
Dominiert in der ersten Phase der Zukunftswerkstatt die kognitive Ebene, steht in der Phantasiephase die emotionale Dimension im Zentrum, während die Verwirklichungsphase strategische und planerische Fähigkeiten erfordert.
Umsetzung und Einsatzmöglichkeiten
In der Regel können an einer Zukunftswerkstatt etwa 15–20 Personen teilnehmen. Ist die Gruppe größer, sollte in parallelen Werkstätten gearbeitet werden, die nur punktuell im Plenum zusammenkommen. Für die Durchführung einer Zukunftswerkstatt sollten möglichst zwei bis drei Tage Zeit geplant werden, obwohl auch kürzere Werkstätten durchführbar sind; diese erreichen jedoch nicht die gleiche Tiefe und Intensität.
Für das Gelingen der Werkstatt ist die Wahl des Themas zentral. Dieses muss für alle Beteiligten bedeutsam sein und Erfahrungen voraussetzen können. Das beinhaltet sowohl Wissen als auch (Alltags)Erfahrungen, denn in Zukunftswerkstätten werden keine inhaltlichen Impulse gegeben; es wird vielmehr ausschließlich mit den vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen der Beteiligten gearbeitet.
In der Schule fanden Zukunftswerkstätten lange Zeit nur an Projekttagen oder in Projektwochen Anwendung. Inzwischen wird die Methode jedoch auch im Unterricht eingesetzt, in dem sie stundenweise innerhalb eines Unterrichtsfachs oder in Kooperation mit anderen Fächern durchgeführt wird. Die Phasen werden dabei so auf die zur Verfügung stehenden Unterrichtsstunden verteilt, dass eine mehrstündige Unterrichtseinheit zustande kommt.
Zukunftswerkstätten eignen sich auch als Verfahren partizipativer Schulentwicklungsprozesse. Ein Kollegium - oder ein Teil des Kollegiums - arbeitet an der Zukunft ihrer Schule bzw. an einem Teilsegment derer, entwirft Visionen und konkrete Umsetzungsideen. In der Werkstatt werden gemeinsam neue Perspektiven entwickelt oder auch bestehende Ziele überprüft und ggf. modifiziert. Vielfältige Erfahrungen zeigen, dass die aktive, „wirkliche“ Beteiligung an relevanten Fragen der gesamten Schulentwicklung die Identifikation der Beteiligten mit „Ihrer“ Schule stärkt und damit deren Engagementbereitschaft fördert.
Zu beachten ist, dass Lehrer-/innen, die eine Zukunftswerkstatt durchführen wollen, vorher möglichst selbst eine gut moderierte Zukunftswerkstatt erlebt haben, so dass sie über Erfahrungen mit der Dynamik dieser Methode verfügen. Unter Umständen kann es sinnvoll sein, ggf. Kolleg-/innen oder – z.B. im Zusammenhang von Schulentwicklungsprozessen – auch externe Moderator/innen zu beauftragen.
Reflexion
Die erste Phase der Zukunftswerkstatt, die Beschwerde- bzw. Kritikphase, steht bereits seit längerer Zeit in der Kritik. Neben der Zukunftswerkstatt gibt es inzwischen auch andere methodische Verfahren, in denen die Menschen aktiv an der Entwicklung von Zukunftsvisionen beteiligt sind. Nicht alle Verfahren jedoch konzentrieren sich auf die Problematisierung der Gegenwart. Einige Methoden arbeiten primär mit Wertschätzung und mit dem Blick auf Positives und Gelungenes. Dahinter steht die Überzeugung, dass immer das verstärkt wird, worauf die Aufmerksamkeit gelenkt wird. Aus dieser Perspektive heraus wird die Kritikphase in der Zukunftswerkstatt als eine zu starke Fokussierung auf das Negative kritisiert.
Gleichzeitig ist diese Kritik nicht unwidersprochen. Der Kritikphase wird auch eine reinigende Wirkung zugesprochen, da es darum geht, „Dampf abzulassen“. So sind Kollegen und Kollegien oft erstaunt darüber, dass „ihre“ Probleme und Frustrationen von vielen anderen geteilt werden. Die Kritikphase kann dabei auch als persönliche Entlastung wirken und dazu motivieren, gemeinsam die kritikwürdige Gegenwart zu verändern. Eine grundsätzliche Ablehnung dieser ersten Phase der Zukunftswerkstatt kann somit zumindest nicht pauschal gelten. Vielmehr ist vor jedem Methoden-Einsatz zu klären, was das jeweilige Anliegen und Ziel ist und welchen Stellenwert die Konzentration auf gegenwärtige Probleme oder die auf zukünftige Zielzustände hat.