Demokratische Unterrichtsentwicklung: Demokratielernen im Simulationsspiel "Dorfgründung" (Hamburg)
Zwischenbilanz
Welche Erfahrungen liegen bisher vor? Welche Folgen haben sich ergeben?
Evaluation der Lerneffekte
Dass das Dorfgründungsprojekt von den Schülern begeistert angenommen worden ist, zeigt eine Episode, die die Schulleiterin Christel Jäger erlebte, als sie kurzfristig den Politiklehrer während des Projekts vertreten musste. Sie wurde von den Schülern, die schon in der Pause alles für die Arbeit hergerichtet hatten, mit der Frage empfangen: "Haben Sie denn wenigstens den Impuls?" Und als die Schüler erfuhren, dass die Vertretungslehrerin nicht mit dem für die Weiterarbeit nötigen Gegenstand aufwarten konnte, machten sie ihrer Enttäuschung Luft: "Das ist ja wohl das Letzte!"
Die Oberstufenschülerin und Schülersprecherin Mandy beurteilt die Bedeutung, die das Projekt für sie hatte, so:
"Wir reden öfter mal drüber, weil das interessant war, das war bei uns in der 10.Klasse – auch wenn es eigentlich ein bisschen spät war – die erste bewusste Erfahrung, wo wir selber und selbständig lernen mussten (...) also es war eben nicht der Frontalunterricht, sondern wir machten das (...) es war spielerisches Lernen, das viel wichtiger ist und auch besser ankommt bei den Schülern." (Weitere Schüleräußerungen und Informationen zur Entwicklung dieses Projekts in: Hamburg macht Schule 6/2004, Die Dorfgründung, S. 20f. Der Beitrag kann von der Hamburger Demokratie-Website herunter geladen werden unter http://www.lihamburg.de/fix/files/doc/dorfgruendung-hms
-heft-06-04-6.pdf )
Wissenschaftlich evaluiert ist das Modell in der Oberstufe (vgl. Petrik, Dissertation). Die Durchführung in einer 8. Klasse wurde ebenfalls evaluiert (Auswertung Druchführung 8. Klasse). Darüberhinaus sind weitere Schüleräußerungen dokumentiert (vgl. PGW-Test Dorfgründung). Schüler äußern in erster Linie, dass sie jetzt mehr von Politik verstünden, erkannt hätten, wie komplex das Politikgeschäft ist und wie kompliziert Entscheidungsprozesse verlaufen sowie den Hintergrund politischer Programme und Positionen besser verstünden. Michael, 9. Klasse, äußert sich zu der Frage, ob er seine eigene Meinung jetzt besser begründen und vertreten könne:
"Also den eigenen Eltern sich entgegen zu setzen, ist noch schwierig, denn von ihnen hat man seine erste politische Meinung. Aber wenn mein Großvater eine komplett andere Meinung vertritt, da kann ich mich dann schon ein bisschen entgegensetzen."
Der Autor Andreas Petrik erläutert:
"In meinem ersten Durchgang habe ich die Schüler befragt und wir haben in mehreren Konferenzen über Ergebnisse gesprochen, die ich immer in die Überarbeitungen [des Modells] miteinbezogen habe, sodass das jetzt vorliegende Modell schon die zweite Überarbeitungsstufe hinter sich hat. Ich möchte jetzt vor den Sommerferien eine dritte einschieben, und das würde so weitergehen, bis wir best practice-Beispiel werden."
Implementierung, Institutionalisierung und Weiterentwicklung
Das Projekt "Dorfgründung" ist an der Corvey-Schule in den 8. Jahrgängen fest etabliert. Inzwischen ist es Schulprogrammbestandteil und hat somit auch die Stufe der Institutionalisierung erreicht. Politiklehrer, die eine 8. Klasse übernehmen, können in einem kontinuierlich weiter laufenden Lernprozess an die Erfahrungen der letzten drei Jahre anknüpfen. Dieser Lernprozess ist fester Bestandteil der Fachkonferenz PGW/Gemeinschaftskunde. Der jeweilige Erfahrungsstand wird auch auf den regelmäßigen Sitzungen der Demokratiegruppe beraten, die den innerschulischen Prozess der Weiterentwicklung und Pflege einer demokratischen Schulkultur insgesamt im Blick hat. Die Demokratiegruppe arbeitet an der allmählichen Verknüpfung des Dorfgründungsprojekts mit weiteren an der Schule vorhandenen Elementen wie schulweite Einführung des Klassenrats, Weiterentwicklung der SV-Qualifizierung und einzelnen stufen- oder jahrgangsbezogenen Projekten (wie z.B. ein Gesundheitsprojekt in Jg. 10).
Auch wenn das Projekt als Bestandteil einer Dissertation wissenschaftlich reflektiert und mehrfach praktisch getestet wurde und somit schon Lehrstück-Charakter hat, gibt es immer noch Praxiserfahrungen, die zu einer Weiterentwicklung des Modells drängen: So zeigte es sich z.B., dass in den jüngeren Schülerjahrgängen eine Irritation durch enttäuschte Erwartungen besteht, wenn die Schüler erst spät begreifen, dass das Spiel nicht wie Monopoly funktioniert, in dem sie ihr (Spiel-)Geld vermehren können und am Schluss der Reichste siegt. Rainer Güttner erläutert das Problem so:
"Die Schüler haben ja Spielgeld in unterschiedlichem Umfang, und so entstehen verschiedene Gesellschaftsklassen, und die Schüler erwarten, dass mit diesem Geld direkt etwas geschieht, dass sie es vermehren können. Aber diese Erwartung erfüllt sich im Spiel so realistisch ja nicht. Und viele Schüler – übrigens mehrheitlich Jungs – waren dann enttäuscht. Das Spiel nimmt ja dann eine andere Wende und konzentriert sich auf die politische Ebene (...) Ich glaube, es ist wichtig, dass wir versuchen, Veränderungen im Spiel vorzunehmen, die diese Erwartungshaltung von vorneherein deutlicher dämpfen, damit es nicht zu diesen Enttäuschungen führt."
Geplant ist außerdem für den Durchgang in den vier 8. Klassen des nächsten Schuljahres eine systematischere Evaluation mit Fragebögen vor und nach dem Spiel.