Oral History - erzählte Geschichte - am Beispiel „Prora-mehr als nur ein schöner Strand. 1933 bis 1946“ (Mecklenburg-Vorpommern)
Durchführung bzw. Ablauf (inkl. Verantwortlichkeiten)
Welche Schritte kennzeichnen die Durchführung?
Im Folgenden beziehen sich die Ausführungen auf das Projekt „Prora - mehr als nur ein schöner Strand“, um den Praxisbaustein so konkret und anschaulich wie möglich zu präsentieren. Als drittes Projekt konnten hier zwar einige Stolpersteine aus den vergangenen Projektkursen umgangen werden, das Beispiel eignet sich dennoch aufgrund seiner Komplexität besonders gut dafür, aufzuzeigen, was bei Projekten dieser Art entstehen kann, was beachtenswert ist, und auch, wo die Grenzen liegen können.
Erste Schritte und Projektskizze
Wir hatten bereits einige Zeit vor dem Projektbeginn Kontakt zum Prora-Zentrum e.V. und die Idee zur Kooperation bezüglich dieses Themas. Die Realisierung in dieser Größenordnung und mit dieser Außenwirkung wurde dann mit Hilfe des Modellprogramms „Demokratie lernen & leben“ sowie Fördermitteln aus dem CIVITAS-Programm der Bundesregierung aus dem Programm „5000xZukunft“ der Aktion Mensch, dem Ministerium für Arbeit und Bau M-V, dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur M-V, der Landeszentrale für politische Bildung M-V und dem Landesfilmzentrum M-V möglich.
Handlungsleitend waren dabei u.a. die Erfahrungen aus den vorangegangenen Projekten, dass die Erstellung eines professionell wirkenden Produktes nicht nur die Motivation der SchülerInnen erhöht, sondern auch die Anerkennung von außen.
Aufgrund der mangelnden Projekterfahrung der SchülerInnen, dem komplexen Thema, der Kooperation sowie dem Anspruch ein hochwertiges Produkt zu erstellen, haben wir - Lehrerin und außerschulische Partnerin - abweichend von der klassischen Projektmethode (vgl. Projektmethode) im Vorfeld eine Projektskizze sowie mögliche Themen für die Arbeitsgruppe entworfen, um einen Rahmen für die kommenden 3 Semester zu haben.
Die erste und gleichzeitig die Hauptphase des Projektkurses zielte darauf, den SchülerInnen Möglichkeiten zu eröffnen, sich eigenständig den vorgegebenen Themenstellungen auf die unterschiedlichsten Weisen zu nähern und somit unterschiedliche Methoden kennen zu lernen. Dazu gehörte auch, den Ort, Prora, selbst zu erleben. Die SchülerInnen wurden mit der Arbeit mit schriftlichen Quellen in den Archiven sowie mit Sekundärliteratur vertraut gemacht, die sie auswerten und in den historischen Kontext einordnen lernten. Ein anderer Schwerpunkt dieser Phase sollte die Arbeit mit Quellen der „erzählten Geschichte“ (Oral History) sein, also Zeitzeugeninterviews und deren Auswertung.
Die zweite Phase sollte der eigenständigen Planung und Erstellung der Wanderausstellung auf Tafeln sowie des Films über die Zeitzeugen gewidmet werden. In diesem Rahmen war die Kooperation mit der Regionalen Schule Binz und weiterer Partner angedacht.
Der gesamten Projektverlauf sollte von der Gestaltung von Veranstaltungen und dem Präsentieren der eigenen Arbeit in unterschiedlichen Kontexten begleitet werden: Im Projektkurs, auf Veranstaltungen im Rahmen des BLK-Modellprogramms Demokratie lernen & leben, auf Pressekonferenzen und größeren öffentlichen Veranstaltungen in der Region. Das eigenständige Präsentieren ist immanent mit der Öffnung der Schule in die Gemeinde verbunden und trägt zur Kompetenzentwicklung der Teilnehmenden bei. Darüber hinaus motivieren positive Rückmeldungen für die Arbeit über einen langen Zeitraum.
Rahmenbedingungen
- Durch die Verortung des Projektes im Rahmen des regulären Unterrichts war die Organisation innerhalb der Schule unproblematisch. Ein fester Raum in der Schule für die Sicherung der Ergebnisse war vorhanden.
- Aufgrund der Vorab erstellten Projektskizze konnten im Voraus klare Absprachen zur Kooperation mit dem Prora-Zentrum e.V. getroffen werden, z.B. zu Terminen, Nutzung der Räume, Vorbereitung der Arbeitsgruppenthemen, Vorbereitung der Literatur für die Arbeitsgruppen usw.
Einführung der SchülerInnen
Zu Beginn des Projektkurses, für den sich 17 SchülerInnen angemeldet haben (zwei sind abgesprungen), wurde von uns (Jana Romanski und Susanna Misgajski) eine ausführliche Einführung in das Thema und das Ziel des Projektkurses gegeben. Dabei wurden die SchülerInnen intensiv beteiligt.
- Vorstellung des Vereins, der Mitarbeiterin (Susanna Misgajski) und des Projektes
- Brainstorming (vgl. Methode Brainstorming) zu Prora
Vorstellung der vorbereiteten Themen und Bildung von 6 Arbeitsgruppen durch die SchülerInnen (zwischen 2 und 3 Personen), die jeweils entsprechend ihres Themas Literatur bekamen (vgl. Arbeitsgruppenübersicht mit Literaturangaben) - Erster Schritt: Befragungen durch Schüler: Die SchülerInnen erkundeten individuell in ihren Familien, was die Familienangehörigen über Prora wissen. Dabei stellte sich heraus, dass das Wissen in den Familien nicht viel größer war, als bei den SchülerInnen selbst. In der gemeinsamen Vorstellung und Reflexion zeigte sich, dass es keine der Familien der SchülerInnen bereits zur NS-Zeit auf Rügen lebte - die einen kamen als Flüchtlinge, andere später während DDR-Zeit nach Rügen.
Unserer Erfahrungen verweisen darauf, dass es sich lohnt, sich für diesen Schritt Zeit zu nehmen, um sich dem Thema zu nähern und für sich einen eigenen Sinn zu erkennen. Die SchülerInnen stellten hier beispielsweise fest, dass es sich bei dem Projektthema um ein Thema handelte, das offensichtlich wenig bzw. noch nicht genügend bekannt ist, selbst nicht bei den Erwachsenen. Es machte für sie also Sinn, neue Erkenntnisse zu erlangen und diese entsprechend aufbereitet weiterzugeben.
Recherche und Zeitzeugeninterviews
Das Prora-Zentrum forscht zur Geschichte Proras, allerdings ist die Forschungslage noch recht dünn: Es gibt einige Themenbereiche, die noch wissenschaftlich zu bearbeiten sind. Das Problem bei der Erforschung der Geschichte Proras besteht u.a. in der schlechten Quellenlage.
Aus diesem Grund war es nicht möglich, die SchülerInnen auf völlig selbständige Recherchearbeiten zu schicken. Sie bekamen die Signaturen und Zeitungsangaben vom Kooperationspartner genannt, die Archivalien wurden bestellt, so dass die SchülerInnen in den Archiven mit den vorgelegten Quellen (Akten, zeitgenössische Zeitungen) selbständig arbeiten konnten. Die Quellenrecherchen wurden dann im Nachhinein durchgesprochen, damit eine wissenschaftliche Analyse der Quellen gewährleistet war. Dabei ging es nicht darum, die Ergebnisse vorweg zu nehmen, sondern darum, wenn sich SchülerInnen auf dem „falschen“ Weg befanden, einen Weg zu suchen, ihnen den richtigen Ansatz zur Analyse der Quelle zu vermitteln. Das hieß z.B. zu berücksichtigen, dass es sich in den Zeitungsartikeln nicht um sachlich objektive Berichte handelte, sondern um eine propagandistische Presse. Dies war beispielsweise möglich, wenn der Bericht so geschrieben wurde, als wäre das „KdF-Seebad Rügen“ in Prora fast fertig gebaut, tatsächlich aber auf dem Foto nur ein Modell abgebildet war.
Bei den Interviews handelte es sich nicht um Einzelinterviews, sondern der gesamte Projektkurs saß mit dem Zeitzeugen zusammen, um mit ihm ein Gespräch zu führen. Zunächst wurde der Zeitzeuge gebeten, etwa eine Stunde aus seinem Leben zu erzählen. Anschließend hatten die SchülerInnen die Gelegenheit Fragen zu stellen. Die SchülerInnen hatten sich entsprechend ihres jeweiligen AG-Themas auf das Gespräch vorbereitet und für sie wichtige Fragen notiert. Die Auswahl der Zeitzeugen gewährleistete, dass jede AG zu ihrem Thema im Laufe des Projekts einen speziellen Zeitzeugen zur Verfügung hatte. Einige Zeitzeugen konnte das Prora-Zentrum vermitteln, andere hatten sich aufgrund der öffentlichen Veranstaltungen aus eigenem Antrieb zur Verfügung gestellt.
Nach den Zeitzeugengesprächen, beim nächsten Treffen des Projektkurses, wurde das Zeitzeugengespräch mit den SchülerInnen intensiv reflektiert: Wie haben die SchülerInnen dies erlebt? War es informativ? Konnte man gut zuhören?
Alle Zeitzeugengespräche wurden digital dokumentiert. Teilweise mussten sich die SchülerInnen die vom Prora-Zentrum angefertigten Video-Kassetten von den Gesprächen nochmals ansehen, um bestimmte inhaltliche Aussagen überhaupt wahrzunehmen, weil sie nicht in Erinnerung geblieben waren.
Kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit
Grundlage der Öffentlichkeitsarbeit war die kontinuierliche Zusammenarbeit mit der regionalen Tageszeitung (Ostsee-Zeitung), bei der uns immer derselbe Ansprechpartner zur Verfügung stand. Dieser wurde zu allen öffentlichen Veranstaltungen, die jeweils Teil des Projektkurses waren (siehe Kursablauf - Termine und Inhalte), sowie zu ausgewählten Treffen unserer Gruppe eingeladen und veröffentlichte regelmäßig Artikel über das Projekt und das Programm (insgesamt ca. 15). Darüber hinaus wurde das Projekt von Susanna Misgajiski in der Zeitschrift „Zeitgeschichte regional Miteilungen aus Mecklenburg-Vorpommern“ im Heft 1, Juli 1 2005 ausführlich dokumentiert.
Die verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen - neben den Veranstaltungen im Rahmen des BLK-Modellprogramms - kamen mit Hilfe des Prora-Zentrums zustande. Diese organisieren seit längerem einen Geschichtsarbeitskreis, in dessen Rahmen unsere Schüler Vorträge gestalten und selbst halten bzw. besuchen konnte.
Ein Höhepunkt war dann die Eröffnung der Ausstellung am Ende des Projektkurses (Januar 2005) in der Aula der Schule, die als öffentliche Veranstaltung gestaltet wurde. Anschließend ist die Ausstellung - wie geplant - durch die Schulen der Insel Rügen gewandert und einer breiten Öffentlichkeit im Museum in Peenemünde vorgestellt worden. Sie wurde im Rahmen des Jugendbegegnungsevents „Prora 06“ gezeigt und wird bis Ende des Jahres in Hagenow, Schwerin und in Rostock zu sehen sein. Diese erfolgreiche Wanderung ist in erster Linie der finanziellen Förderung der Aktion Mensch, 5000 x Zukunft, zu verdanken. Die organisatorische Abwicklung liegt bei den beiden Projektleiterinnen.
Produktentwicklung
Um einen guten Einblick in die Prozesse der Produktentwicklung zu geben, beziehen wir uns hier ausschließlich auf die Gestaltung der Ausstellungstafeln, da die Prozessse bei der Filmerstellung ähnlich waren und Wiederholungen hier vermieden werden sollten.
Die Herausforderungen für die SchülerInnen bestanden zum einen darin, die vielen Ergebnisse aus ihrer Recherche in den Archiven und den Gesprächen mit den Zeitzeugen zu reduzieren, zu komprimieren und so aufzubereiten, dass keine wesentlichen Inhalte und Informationen verloren gehen und gleichzeitig mit dem vorhandenen Raum auszukommen. Kurz: Komplexität angemessen und produktorientiert zu reduzieren. Zum anderen verlief der Prozess der inhaltlichen und (foto-)grafischen Ausgestaltung nicht immer im Konsens. Da die Tafeln bzw. die Entwürfe jeweils von der gesamten Projektgruppe bewertet und verändert wurden, mussten sich die SchülerInnen mit Kritik an ihren Vorschlägen und ihrer Arbeit auseinandersetzen und Kompromisse eingehen bzw. sich in einigen Fällen auch der „Mehrheit beugen“.
Die Gestaltung der Ausstellungstafeln wurde dabei von den SchülerInnen weitgehend eigenständig durchgeführt. Sie begannen zunächst mit einfachen Mitteln: Paketpapier in der Größe der geplanten Ausstellungstafeln, ausgedruckten Texten u. Bildern. In diesem ersten Schritt wurden Schriftgröße, Schriftart und Schriftmenge festgelegt und anschließend mit Hilfe der Beratung durch einen Grafiker die gemeinsame Gestaltung erarbeitet. Dieser zeigte sich sehr kooperativ und richtete sich in vielen Bereichen nach den Vorstellungen der SchülerInnen.
Allerdings haben beide Projektleiterinnen während dieses Prozesses auch aktiv auf die SchülerInnen eingewirkt, wenn sich abzeichnete, dass ihre Entscheidungen in eine „gestalterische Sackgasse“ führten. Es ging dabei in erster Linie darum, eine möglichst einfache und einheitliche Gestaltung zu empfehlen.
Möglicherweise ist es bei künftigen bzw. anderen Projekten machbar, in bestimmten Bereichen weitere Lehrer oder ganze Kurse, z. B. Kunst, in die Projektarbeit mit einzubinden.