Sozialpraktikum in Eberswalde: Dialog zwischen Jung und Alt (Brandenburg)
Voraussetzungen für die Einführung bzw. Durchführung
Welche Bedingungen wurden vor der Einführung geschaffen?
Welche Bedingungen wurden vor der Einführung geschaffen?
„Wir sind eine Schule, die sich um Öffnung bemüht und an der Vorschläge der Kolleg/-innen, den Schüler(n)/-innen neue Lernfelder zu bieten, gern aufgegriffen werden“, Jutta Bullerjahn, stellvertretende Schulleiterin.
Steuerung durch ein Lenkungsteam
Den Impuls für die Zusammenarbeit mit der Landesklinik und die Mitarbeit am BLK-Projekt „Demokratie lernen & leben“ hatte am Anfang ein Kollege gegeben. Allerdings bedurfte es einer Struktur innerhalb der Schule, um diesen Ansatz weiter zu entwickeln und seine Umsetzung zu organisieren. Das bereits im Jahr 2000 vom Schulleiter berufene und 2003 erweiterte Lenkungsteam ist an der Goethe-Oberschule für Planung und Abstimmung der pädagogischen Jahresschwerpunkte verantwortlich und übernahm 2004 die ersten Planungsschritte: In welcher Form könnte ein generationsübergreifendes Projekt an der Schule angepackt werden und wer würde sich dafür verantwortlich fühlen? Und: könnten nicht die Erfahrungen, die im Kooperationsprojekt mit der Landesklinik Eberswalde entstanden waren oder die Anregungen aus dem Schulbesuch an der Helene-Lange-Schule verwertet werden? Dabei fiel die Wahl auf die Fachkonferenz Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde (LER). Im Lehrplan für das Fach LER im Land Brandenburg steht im 8. Schuljahr die Entwicklung von Toleranz an zentraler Stelle. Deshalb bot es sich an, die Verantwortung für das Sozialpraktikum in diesem Fach anzusiedeln. Da die LER-Lehrer/-innen selbst immer wieder nach alltagsnahen Lernsituationen für ihren Unterricht suchten, wurde dort der Vorschlag des Lenkungsteams gerne aufgegriffen.
Einbindung eines professionellen Kooperationspartners
Für das Lenkungsteam stand fest, dass der Ansatz der generationsübergreifenden Arbeit nicht allein aus dem schulischen Kontext und durch die Fachgruppe LER entwickelt werden sollte. Bewusst entschlossen sich die Lehrer/-innen für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit einem Träger der freien Jugendhilfe, den die Goethe-Oberschule in der Kinder- und Jugendhilfe in Buckow gGmbH (KJHB) fand. Dieser Träger hat zum einen Erfahrungen in der Kinder- und Jugendarbeit, Familienberatung und Familienhilfe und legt in der Arbeit beispielsweise mit Schulverweigerern und schwierigen Jugendlichen den Schwerpunkt auf das soziale Lernen. Zum anderen ist er die Tochter eines Unternehmens, das auch Behinderte und Senioren betreut. Zu den täglichen Aufgaben der Mitarbeiter/-innen gehört es, mit den verschiedenen Institutionen zu verhandeln und Partner zu finden. Diese verschiedenen Kompetenzen wollte die Goethe-Oberschule für die Weiterentwicklung der Schule nutzen. Niemand aus dem Kollegium hatte Erfahrungen, wie man für ein, einen ganzen Jahrgang betreffendes, langfristiges Projekt Verbündete findet und an wen man sich für dessen Umsetzung wenden kann. Im Frühjahr 2004 vereinbarten der Schulleiter der Goethe-Oberschule Eberswalde und der Geschäftsführer der Kinder- und Jugendhilfe in Buckow gGmbH (KJHB) ihre Zusammenarbeit bei der Durchführung des Sozialpraktikums.
Dabei verpflichtete sich die KJHB:
- Praktikumsstellen in Alteneinrichtungen oder über Altenverbände zu akquirieren;
- in Zusammenarbeit mit der Schule einen Praktikumsplan zu erarbeiten und vor allem die Lerninhalte und notwendigen Arbeitsschritte zu konzipieren;
- die Schüler/-innen und Senior/-innen in einer Informationsveranstaltung auf das Praktikum vorzubereiten, sie während des Praktikums zu betreuen sowie die Auswertung und die Präsentation der Ergebnisse in der Schule und in der Öffentlichkeit zu unterstützen.
Ausarbeitung eines gemeinsamen Konzepts zum Sozialpraktikum
Auf der Grundlage der Kooperationsvereinbarung entwickelten ein Sozialarbeiter der KJHB und eine LER-Lehrerin der Goethe-Oberschule kurz vor den Sommerferien im Jahr 2004 die Konzeption für den „Generationsreff“ (siehe Konzeption Sozialpraktikum „Generationstreff“).
Unter dem Motto „Soziale Kompetenzen durch soziales Lernen“ treffen sich Schüler/-innen der 8. Klassen elf bzw. - so wurde die Regelung im zweiten Jahr korrigiert - neun Wochen lang für 1,5 Stunden an einem Nachmittag mit einem älteren Menschen. Auf diese Begegnung bereiten sich die Schüler/-innen im Unterricht vor. Anschließend besuchen jeweils Teams von zwei bzw. drei Schüler/-innen den Senior bzw. die Seniorin in ihrer privaten Wohnung oder in einer Pflegeeinrichtung.
Zu den konkreten Aufgaben der Schüler/-innen in der Begegnung mit den Senior/-innen gehören laut Konzeption:
„Erstens das Führen eines Tagesbuches während des Praktikums. Es sollen zweitens konkrete Fragen an die alten Menschen herangetragen und mit ihnen gemeinsam besprochen werden: deren Lebensgeschichte mit besonderem Augenmerk auf das Erleben des Krieges, der eigenen Jugend, der selbst erfahrenen Erziehung mit den entsprechenden Anstands- und Familienregeln, den gesellschaftlichen Normen und deren Übertretung oder den damaligen Freizeitmöglichkeiten. In der begleitenden und anschließenden Reflexion über das Praktikum geht es drittens um die Frage, was das Praktikum den Schüler(n)/-innen ‚gebracht hat’, welche Probleme und welche Erfolge sie im Kontakt mit den alten Menschen gehabt haben. Über die Beziehung zu den Senior/-innen hinaus ist die Zusammenarbeit im Klein-Team wichtig und die damit verbundene Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen, Erfahrungen und Erwartungen der Schüler/-innen“ (siehe Tagebuchblatt 2004, Hefterblatt 2 und Hefterblatt 3).
Eigenverantwortliches Planen unterstützen
Um das Sozialpraktikum durchführen zu können, musste der Stundenplan auf das Projekt ausgerichtet werden. LER wird an der Goethe-Oberschule mit zwei Wochenstunden unterrichtet, eine davon im Klassenverband, die andere im Teilungsunterricht. Diese Teilungsstunden wurden für das Sozialpraktikum genutzt. Die Schüler/-innen sollten sich an einem von ihnen selbst vereinbarten Zeitpunkt mit ihren Senior/-innen treffen können, ohne dafür im Stundenplan Leerzeiten in Kauf nehmen zu müssen.
Die zweite LER Stunde der Woche wurde den Schüler(n)/-innen auch zur Verfügung gestellt, um über ihre Erfahrungen im Praktikum zu sprechen. Dies geschah in der Schule im Klassenverband während des Unterrichts.
Da die Schüler/-innen durch den „Generationstreff“ zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten unterwegs waren, wurde ursprünglich eine Hotline bei dem Jugendhilfeträger eingerichtet. Die Schüler/-innen und Senior/-innen konnten dort in Notfällen anrufen und ihre Fragen besprechen. Dies erwies sich als nicht notwendig, da eine Vertreterin des KJHB an einem Tag in der Woche an der Schule ansprechbar war. So konnten auftretende Probleme flexibel gelöst werden.
Verknüpfung des Projektes mit anderen Fächern
Da die Schüler/-innen im 8. Schuljahr ca. 20 Stunden im Sozialpraktikum verbringen, sollte es auch mit dem Unterricht anderer Fächer verbunden werden. Die Fachkonferenz LER bewirkte, dass die Erfahrungen und Inhalte des Sozialpraktikums außer in LER auch in anderen Fächern aufgegriffen und in die pädagogische Planung der anderen Fächer einbezogen wurden.
Das war vor allem im Deutschunterricht der Fall. In der 8. Klasse wurde beispielsweise behandelt, wie man ein Tagebuch schreibt. Die dabei eingeführten Elemente zur Reflexion finden sich auch auf jener Seite wieder, die die Schüler/-innen nach jeder Begegnung mit ihren Senior/-innen ausfüllen sollten.
Gleichzeitig sollten die Schüler/-innen durch das Schreiben des Praktikumsberichts methodisch und inhaltlich vorbereitet werden, in der 9. Klasse eine Facharbeit zu verfassen. Sie sollten ebenfalls lernen, wie sie ein Deckblatt gestalten, ein Inhaltsverzeichnis erstellen und ein Protokoll ausfüllen.
Begegnungsorte für den „Generationstreff“ finden
Entsprechend den Vereinbarungen des Kooperationsvertrages akquirierte die KJHB die Orte, an denen die Schüler/-innen das Praktikum durchführen sollten. Dabei waren im Schuljahr 2004/2005 126 Schüler/-innen aus fünf Klassen ins Praktikum einbezogen, im Schuljahr 2005/2006 103 Schüler/-innen aus vier Klassen. Deshalb nahm die KJHB Kontakt zu staatlichen und kirchlichen Senioreneinrichtungen, zu Pflegeheimen und Seniorenresidenzen sowie zu Kirchgemeinden der Stadt auf, um sie um Unterstützung für das Projekt zu bitten.
„Teilweise rannte ich mit meiner Bitte um Zusammenarbeit offene Türen ein. Die Einrichtungen und Organisationen waren gern bereit, mich zu unterstützen und das Praktikum für die Schüler/-innen zu ermöglichen. Besonders sprach sie die Idee an, junge und alte Menschen zusammen zu führen und zu schauen, wo sie Berührungspunkte finden“, Katrin Krüger, Kinder- und Jugendhilfe in Buckow gGmbH.
In Gesprächen erläuterte die Vertreterin der KJHB die Konzeption des „Generationstreffs“ und stellte den von den Kolleg/-innen der Fachkonferenz LER erarbeiteten Leitfaden für das Kennen lernen zwischen Schüler(n)/-innen und Senior/-innen vor (siehe Leitfaden Praktikumsstelle; Leitfaden Teilnehmer).
Erwartungen und Verfahren abstimmen
Unsicherheiten gab es im Kontakt mit einigen evangelischen Gemeinden. Sie hinterfragten, ob tatsächlich die Begegnung zwischen Schüler(n)/-innen und gläubigen und kirchlich gebundenen Menschen gewünscht ist. Das aber wollte der Fachbereich LER ausdrücklich. 90 Prozent der Schüler/-innen der Goethe-Oberschule wachsen in einem atheistischen Elternhaus auf. Sie sollten auch erfahren und verstehen, was Glauben für andere Menschen bedeutet und wie er sie prägt.
Bei der Zuordnung der Schüler/-innen wurden auch die Wünsche der Senior/-innen berücksichtigt. Einige Senior/-innen baten nur mit Mädchen bzw. Jungen zusammenzutreffen. Andere fragten gezielt nach Schüler/-innen mit Computerkenntnissen.
Einbeziehung der Eltern
Unerlässlich für die Vorbereitung und Durchführung des Projektes war es, die Eltern mit dem Anliegen vertraut zu machen. Zunächst holte sich das Kollegium der Goethe-Oberschule die Zustimmung der gewählten Elternvertreter/-innen ein. Unmittelbar vor Praktikumsbeginn fanden in allen 8. Klassen Elternversammlungen statt, in denen konkret dargelegt wurde, was Inhalt und Ziel des Praktikums sein würde und wie es durchgeführt wird. Wunsch der Schule war es, die Eltern als Unterstützer für das Anliegen zu gewinnen, indem diese mit ihren Kindern über das erlebte reden, sich für das Erreichte interessieren.