Das Schulparlament (Rheinland-Pfalz)
Zwischenbilanz
Welche Erfahrungen liegen bisher vor? Welche Folgen haben sich ergeben?
Nachdem das Parlament fünfmal getagt hat, kann man eine erste Zwischenbilanz ziehen.
Im Laufe der Monate Mai/Juni 2006 wurden Interviews (Interviewdesign: s. Evaluationsdesign 1, Evaluationsdesign 2) durchgeführt.
Befragt wurden:
- der Schulleiter, auch Mitglied des Parlaments als gewählter Vertreter der Lehrer (Jg. 13)
- eine Schulsozialarbeiterin,
- ein Mitglied des Schulelternbeirats - gleichzeitig Klassenelternsprecherin,
- ein Mitglied des Örtlichen Personalrats (ÖPR, = Schulpersonalrat)
- ein Verbindungslehrer - gleichzeitig Mitglied des Schulparlaments
- eine Schülerin - Mitglied der Schülervertretung (SV), Schulsprecherin
- eine Lehrerin - Mitglied der erweiterten Schulleitung, Stufenleiterin (Jg. 7)
- drei SchülerInnen der Jahrgänge 5/6/7 - Mitglieder des Schulparlaments
Die Interviewpartner halten Rahmenbedingungen ihrer Schule fest, die eine Parlamentsgründung begünstigen:
Die Schule (Integrierte Gesamtschule Ernst Bloch Ludwigshafen-Oggersheim)
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wird als eine Einrichtung mit basisdemokratischer Tradition begriffen und erlebt
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wird dahin gehend charakterisiert, dass sie sich immer schon durch eine große Offenheit gegenüber Veränderungsprozessen ausgezeichnet hat und auszeichnet
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legt großen Wert auf eine gute Zusammenarbeit aller Beteiligten
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stellt durch das System der Tutoren eine enge Verbindung von Lehrern und Schülern her
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ermöglicht umfangreiche und vielfältige Mitwirkungsaktivitäten der Eltern.
In den Interviews werden positive Aspekte benannt:
Das Schulparlament
- kann an die Grundlagen partizipativer Elemente, die die Schule kennt, anknüpfen
- scheint vor allem bei den jüngeren Schülern bereits attraktiv zu sein
- ist eine Plattform, auf der sich zum ersten Mal alle Gruppierungen der Schule zur gleichen Zeit am gleichen Ort treffen
- ist ein Forum, auf dem Einzelinteressen formulieret, diskutiert und zum Ausgleich gebracht werden können
- ist ein Ort, an dem die Wahrnehmung der jeweils anderen Personen bzw. Gruppierungen sowie deren Wertschätzung hergestellt und verbessert werden kann.
Es konnten auch einige Stolpersteine ermittelt werden:
- die konkrete Durchführung der Wahlen zum Parlament (Offenheit des Prozesses wird teilweise kritisch gesehen.)
- die Schwierigkeit, wegen der an sich schon hohen terminlichen Belastung von Lehrern und Schülern, eine regelmäßige Teilnahme zu gewährleisten
- die Wahrnehmung des Parlaments im Schulalltag (Bekanntheitsgrad muss noch ausgebaut werden)
- die Rückmeldung des Parlaments in die verschiedenen Schulgruppen hinein, u. a. in die Schülergruppen
- die partielle Unzufriedenheit mit der numerische Vertretung der Schüler im Parlament, die aufgrund der Zahlenverhältnisse der schulischen Gruppen keine echte Repräsentation darstellt.
In den Gesprächen wurden Ansatzpunkte benannt und Perspektiven für eine Weiterentwicklung aufgezeigt:
- Es soll eine Wahlordnung erstellt werden.
- Die Parlamentsarbeit sollte auf der schulischen Internetplattform dargestellt werden.
- Die Schulzeitung soll dem Parlament Raum zur Berichterstattung geben.
- Eine Litfasssäule oder Stellwände zur Präsentation sollten an zentralen Orten der Schule aufgestellt werden.
- Parlament und Parlamentsarbeit müssen auf allen Jahrgangsstufen und in allen Schulgruppen thematisiert und damit ins Bewusstsein gebracht werden.
- Ein jährlicher Trainingsbaustein „Parlamentsarbeit“ (Seminar für Schüler/evtl. auch für Lehrer und Eltern) wird in Verbindung mit außerschulischen Partnerinstitutionen angeboten.
- Das Parlament soll als Diskussionsraum vor allen pädagogischen Entscheidungen der Schulgemeinschaft genutzt und gestärkt werden.
Zusammenfassung
Mit Blick auf die Schüler wird gesagt, dass deren Stärkung für die Wahrnehmung ihrer Rolle als Parlamentsmitglieder geboten sei. Dazu zählen vorrangig die Erweiterung der kommunikativen Kompetenz als auch der Erwerb und die Festigung von Wissen über parlamentarischen Prozesses.
Die Verbreitung der parlamentarischen Idee und die Sensibilisierung für Chancen und Wahrnehmung der Partizipation innerhalb der Schülerschaft soll auch deren Motivation zur Mitarbeit fördern und die damit die dringend notwendige Kontinuität sichern helfen, um Desinteresse und mangelnder Verantwortungsbereitschaft frühzeitig begegnen zu können. Dies wird auch als wichtige Aufgabe der Lehrer angesehen.
Aufgrund dieser Reflexion ist ein Schwerpunktseminar „Parlamentsarbeit“ mit externer Begleitung im Monat November 2006 geplant, mit dem Ziel der „Vermittlung und Erarbeitung von Kenntnissen, die die Schülerinnen und Schüler im Schulparlament befähigen, erfolgreiche Beteiligung und Interessenvertretung für ihre Gruppe zu betreiben“, (Entwurf Seminarplan Schulparlament).
Diese Seminare sollen im jährlichen Turnus angeboten werden.
Interessant ist die Darstellung, dass die Schülervertretung (SV) die Einrichtung eines Parlaments nicht als Konkurrenz ansieht, sondern eher als Stärkung ihrer Arbeit erlebt hat. Die Rolle der SV sei jedenfalls nach der Errichtung des Parlaments wieder gestärkt worden, ihre Aktivitäten hätten sich deutlich erhöht. Als Gründe werden personelle Konkordanzen gesehen (aber auch die Belastung durch Doppelfunktionen!) und die Wiederbelebung des Partizipationsgedankens durch die Teilnahme an dem BLK-Programm.
Die Schülervertretung wünscht sich eine rechtliche Verankerung des Parlaments im Schulgesetz, aber mit „einer tatsächlichen Entscheidungsgewalt“. Die Einrichtung des Schulparlaments „sei der erste Schritt“ dahin, den Schülern „tatsächlich eine Stimme zu geben“. „ …dieses Engagement hat mein Leben verändert“ (Maria Vardabetian, Schülersprecherin).
Zu diesem Aspekt äußern sich die anderen Interviewpartner weniger eindeutig: Zwar könne man sich eine rechtliche Verankerung vorstellen, sieht diese aber an dieser Schule nicht als zwingende Voraussetzung für eine erfolgreiche Installation des Partizipationsgedankens qua Schulparlament.
„Ich denke, dass das Schulparlament eine beratende Rolle haben kann…, denn eine Leitung wird nicht das Votum eines solchen Organs übergehen können…Das Schulparlament ist sicher nicht das Allheilmittel für notwendige Veränderungen in der Schule, aber es ist ein wichtiger Ansatz der Veränderung… Ich habe keine Bedenken, dass wir das an unserer Schule schaffen“ [auch ohne rechtliche Verankerung im Schulgesetz] (Jörg Safferling, Verbindungslehrer).
Von allen Befragten wird herausgehoben, dass die Vernetzung der Schulgruppen durch das Parlament viel besser funktioniere, dass hier ein Forum für Themen und Probleme in der Schulgemeinschaft geschaffen worden sei. Die Kommunikationswege seien kürzer geworden, auf aktuelle Probleme könne unmittelbar reagiert werden, und man habe die Möglichkeit, die unterschiedlichen Positionen zu hören und direkt Stellung zu beziehen.
Als Chance wird genannt, dass die einzelnen im Parlament vertretenen Gruppen sich viel genauer wahrnehmen: „ … Man versteht die einzelnen Parteien besser… jede Gruppe kann sehen, mit welchen Ängsten z. B. die jeweils anderen leben, und darüber kann man ins Gespräch kommen…“ (Christoph Fath, Mitglied des ÖPR).
Die Reflexion der eigenen Rolle im Kontext schulischer Prozesse ist ein weiterer Aspekt, der ein in seiner Wirksamkeit noch nicht ausgelotetes Potenzial für die Entwicklung von Schule darstellt.
Bemerkenswert war die in einem Statement zum Ausdruck gebrachte Erwartung, dass es in Zukunft wahrscheinlich nicht mehr die Bindung an die drei existenten formellen schulischen Gruppen geben werde, sondern dass sich thematische Koalitionen bilden würden.
Immer wieder wird hervorgehoben, dass der Zeitraum für eine Betrachtung des Projekts „Schulparlament“ noch sehr kurz sei, dass weitere Erfahrungen gemacht werden müssten, um dann eine valide Evaluation durchzuführen. „Es ist alles noch ziemlich in den Kinderschuhen“ (Elke Reich, Mitglied der Schulleitung).
Man sieht auf Seiten der Lehrer die Chancen einer stärkeren Einbindung von Schülern und Eltern in die Mitgestaltung von Schule, auch die Schärfung des Blicks auf die Voraussetzungen einer guten Schule.
Schüler und Eltern, so der allgemeine Eindruck, wollen die Chance einer erweiterten Partizipation nutzen.
Mit dem Parlament findet „eine stärkere Institutionalisierung der Verantwortung“ (Werner Steiner, Schulleiter) statt. Verantwortung wird also über ein formelles Verfahren, das aber von der Schulgemeinschaft frei gewählt wurde, auf einen stark erweiterten Kreis von Beteiligten übertragen und von diesem angenommen.
Die Schulleitung sieht die qualitativen Veränderungen, die durch das Parlament in das Schulleben hineingekommen sind, insgesamt positiv und für ein partizipatorisches Führungskonzept hilfreich: „Ich fühle mich gestärkt…Das Finden des Interessenausgleichs ist für mich einfacher geworden“ (Werner Steiner, Schulleiter).
Insgesamt wird das Projekt „Schulparlament“ von allen Befragten unterstützt und trotz des kurzen Erfahrungsbereichs in seiner positiven Wirksamkeit, gesehen.
„Das Schulparlament bringt mehr Demokratie in die Schule…“ (Werner Steiner, Schulleiter).