Demokratie-Lernen durch reale Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern (Sachsen-Anhalt)
Durchführung bzw. Ablauf (inkl. Verantwortlichkeiten)
Welche Schritte kennzeichnen die Durchführung?
Zur Gestaltung der BLK-Programmarbeit an der Schule
Organisationsrahmen für die Durchführung der Demokratie-Tage
- An unserem Gymnasium strukturiert die BLK-Steuergruppe die Programmarbeit derart, dass wir für eine diesbezügliche inhaltliche Arbeit mit Schülerinnen und Schülern in jedem Schuljahr so genannte Demokratie-Tage organisieren. Dazu werden die Projekte - wie die hier beschriebene Unterrichtssequenz - jährlich in einem Zeitraum von zwei bis vier zusammenhängenden Tagen durchgeführt.
- Die Demokratie-Tage stehen unter einem ausgewählten zentralen Thema.
- Es sind jeweils drei bis vier Klassen, meist eines gemeinsamen Schuljahrganges, beteiligt. Im dritten Erprobungsjahr (Schuljahr 2005/06) war es der Schuljahrgang 8.
- Die Demokratie-Tage basieren auf einem fächerübergreifenden Ansatz - so sind zum Beispiel die Unterrichtsfächer Sozialkunde, Deutsch, Geschichte sowie Englisch involviert.
- Die entwickelten und erprobten Unterrichtssequenzen werden im Anschluss evaluiert und in Form von nachnutzbaren Unterrichtsbausteinen dokumentiert.
Von der Themenfindung für die Demokratie-Tage zur Planung von Unterrichtssequenzen
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In der BLK-Steuergruppe wurde zusammen mit dem Schülerrat überlegt, welche zentrale Thematik im Mittelpunkt der anstehenden Demokratie-Tage stehen soll. Diese Thematik setzte den Rahmen für die in gemeinsamer Verantwortung der beteiligten Kolleginnen und Kollegen zu entwickelnden und zu erprobenden Unterrichtssequenzen.
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Für die erste Erprobung einigten wir uns zum Beispiel auf die zentrale Thematik „Schule im Wandel der Zeiten“. Eine der letzten Erprobungen fand zu dem Schwerpunkt „Soziales Lernen an der Schule der Demokratie“ statt (siehe in Abschnitt 3.1 „Die Themen der Demokratie-Tage“).
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In der Steuergruppe wurde gemeinsam abgesteckt, in welchen Unterrichtsfächern die jeweiligen Rahmenrichtlinien einen Bezug zur Thematik herstellen und deshalb für die Demokratie-Tage in Frage kommen.
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Alle Fachkonferenzleiterinnen und -leiter dieser Fächer wurden eingeladen und befragt, wie sich das Fach ggf. einbringen und bis zu welchem Zeitpunkt Ideen unterbreitet werden können. So gab es zum Beispiel im Vorfeld der ersten Erprobung ein Treffen der Steuergruppe mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Fachkonferenzen Deutsch, Sozialkunde, Geschichte, Englisch und Kunsterziehung - Unterrichtsfächer, die einen Beitrag zur zentralen Thematik „Schule im Wandel der Zeiten“ leisten können.
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Diejenigen Fachkolleginnen und -kollegen, die für die Mitgestaltung der Demokratie-Tage in Frage kamen und in der dafür vorgesehenen Klassenstufe unterrichteten, besprachen das Vorhaben gemeinsam mit ihrer Schulklasse und reichten bei der Steuergruppe schriftlich einen Umsetzungsvorschlag einschließlich eines zeitlichen Ansatzes für die Unterrichtssequenz ein.
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Als Orientierung galt, dass erstens der Ablauf der Sequenz gemeinsam mit der für die Erprobung vorgesehenen Schulklasse zu konzipieren ist und zweitens weg von dem immer noch oft üblichen Frontalunterricht die Vorteile des Arbeitens in kooperativen Lernformen für die Sequenz genutzt werden sollten.
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Die BLK-Steuergruppe reflektierte und gewichtete die Ideen und eingebrachten Stundenbedarfe, stimmte dies mit den Kolleginnen und Kollegen ab und erstellte eine Bedarfsanmeldung von Stunden. Die Stundenplanerin der Schule kümmerte sich darum, dass die Wünsche für die Demokratie-Tage umgesetzt werden können.
Die Themen der Demokratie-Tage
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Programmstartphase (Schuljahr 2002/03): „Schule im Wandel der Zeiten“, Schuljahrgang 8
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erstes Erprobungsjahr (Schuljahr 2003/04): Wiederholung der Thematik „Schule im Wandel der Zeiten“ mit dem neuen Schuljahrgang 8, Grund: Die Wirksamkeit der Thematik sollte überprüft und der Unterrichtsbaustein überarbeitet werden.
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zweites Erprobungsjahr (Schuljahr 2004/05): „smile – Schule mit Leben erfüllen“, Schuljahrgang 9
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Drittes Erprobungsjahr (Schuljahr 2005/06): „Soziales Lernen an der Schule der Demokratie“ mit den Teilvorhaben:
- „Demokratie-Lernen durch reale Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern“, Schuljahrgang 8 (Unterrichtsbaustein reale Mitbestimmung)
- „Zukunft planen – Schule gestalten“, Schuljahrgang 10
Entwicklung von Unterrichtsbausteinen
- Im Rahmen der seit Frühjahr 2003 entwickelten und erprobten Unterrichtssequenzen wurden durch die verantwortlichen Lehrkräfte insgesamt 23 einzelne Unterrichtsbausteine an der Schule erarbeitet.
- Die Unterrichtsbausteine sind als Material für die Nachnutzung durch interessierte Lehrerinnen und Lehrer gedacht. Sie stehen in der Tradition früherer „Unterrichtshilfen“.
- Als strukturelle Grundlage und Hilfeleistung dient dabei ein Dokumentationsraster, dass in einer gemeinsamen Beratung der BLK-Steuergruppen der Programmschulen von Sachsen-Anhalt mit der Programmleitung am LISA entwickelt worden ist.
- Ausgewählte Unterrichtsbausteine werden in verschiedene Veröffentlichungsformate integriert (Praxisbausteine, Handreichung des Programmelements von Sachsen-Anhalt, Downloads auf dem Landesbildungsserver von Sachsen-Anhalt).
Die Unterrichtssequenz „Demokratie-Lernen durch reale Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern“
Von einer Idee zur Initiative
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Angesichts des im Jugendschutzgesetz fixierten Rauchverbots für Jugendliche unter 16 Jahren flammte in unserer Schule immer wieder die Diskussion zur Umsetzbarkeit dieses Verbotes angesichts der Legalität des Rauchens für die älteren Jugendlichen sowie der fehlenden Regelung dieses Problems durch unsere Hausordnung auf.
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Im Schülerrat entstand die Überlegung, eine kleine Kampagne der gesundheitlichen Aufklärung über die Gefahren des Rauchens zu starten und als ersten Schritt in Richtung einer „rauchfreien Schule“ die von den Jugendlichen stark frequentierte Raucherecke in eine „grüne Oase“ umzuwandeln.
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Eine Entscheidung dazu sollte in der Schülerschaft auf demokratischem Wege herbeigeführt werden.
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Diese Idee hielten der Verfasser des Praxisbausteins - selbst bekennender Nichtraucher - und seine Schülerinnen und Schüler des Schuljahrganges 8 für passfähig mit der geplanten Unterrichtssequenz „Demokratie-Lernen durch reale Mitbestimmung von Schülerinnen und Schülern“. Die Unterrichtsfächer Sozialkunde, Biologie, Mathematik und Kunsterziehung verknüpfend wollten diese Schülerinnen und Schüler ihren Plan eines Schülerentscheides mit all seinen Konsequenzen umsetzen, mit dem parallelen Ziel, der Schülerschaft des Gymnasiums die Chancen und Tragweite demokratischer Entscheidungsprozesse durch reales Erleben zu verdeutlichen.
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Damit war das Vorhaben definiert. Die Schülerratsinitiative sollte mit einer Abstimmung und einer vorgeschalteten Bekanntgabe des Vorhabens untermauert werden.
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In einem ersten Schritt gab ein Schüler der Klasse als Mitglied des Schülerrates detaillierter Informationen zu der in diesem Gremium entwickelten Idee der Umwandlung der Raucherecke in eine grüne Oase an seine Mitschülerinnen und Mitschüler weiter. Er flocht in seine Einführungen auch erste Informationen zu der gesundheitsschädigenden Wirkung des Rauchens ein.
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Daran schlossen sich erste Überlegungen der Klassengemeinschaft dazu an, wie bei einer Mehrheit der Schülerschaft pro grüne Oase weiter zu verfahren wäre. Schnell stand der Entschluss fest, dass die Klasse weiterhin Verantwortung übernehmen und zunächst einen Antrag in die Gesamtkonferenz einbringen würde.
Von der Planung der Umsetzung bis zur Werbung
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Im Rahmen der Unterrichtssequenz erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler zunächst ein Umsetzungskonzept für das Abstimmungsvorhaben. Fragen, die sie dabei bewegten, waren:
- Wie kann für die Idee geworben werden?
- Wer macht was? Welche Materialien werden benötigt?
- Welche fachlichen Voraussetzungen müssen wir mitbringen, um das Projekt realisieren zu können? Welche Unterstützungsleistungen sind notwendig? Wo holen wir uns diese her?
- Welche Mehrheit muss erreicht werden, damit das Konzept umgesetzt werden kann?
- In welchem Rahmen werden die Ergebnisse den Schulbeteiligten zurückgespiegelt?
- Wie gehen wir mit einem „negativen“ Ergebnis um? -
Anschließend fertigten sie Werbeplakate an, die einerseits für die Umwandlung der Raucherecke und andererseits für die geplante Schülerabstimmung werben sollten. Die fertigen Produkte wurden an gut frequentierten Orten der Schule ausgestellt
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Die Informationen des Klassensprechers aufgreifend und durch eigene Recherchen vertiefend erarbeiteten die Schülerinnen und Schüler schließlich ein Handout, in dem sie auf die Gefahren des Rauchens aufmerksam machten und für die Einrichtung der grünen Oase plädierten. Das Handout wurde von allen Klassensprecherinnen und Klassensprechern der Schule unterzeichnet und für die Durchführung der Abstimmung vervielfältigt.
Von der Vorbereitung zur Durchführung der Abstimmung
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Entsprechend der Planung entwickelte die Klassengemeinschaft zunächst einen Begleitzettel für die Abstimmung (Abstimmungsbegleitzettel) in den einzelnen Klassen, auf dem Vermerkbereiche für den jeweiligen Klassennamen, die Schülerzahl laut Klassenliste, die Zahl der bei der Abstimmung anwesenden Schülerinnen und Schüler der Klasse, die Anzahl abgegebener Stimmzettel sowie etwaige Besonderheiten sowie die Namen der Wahlverantwortlichen reserviert waren.
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Anschließend bereiteten sie in Gruppen zu jeweils fünf Lernenden an Computern Vorschläge für einen Stimmzettel vor, die Entscheidung für eines der entstandenen Produkte erfolgte mittels Punktevergabe (jede Schülerin und jeder Schüler konnte insgesamt drei Punkte vergeben, wobei auch die Möglichkeit bestand, einem Vorschlag drei Punkte zuzuordnen).
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Nach dem Ziehen einer Zufallsstichprobe wurde der Stimmzettel entsprechend der geplanten Stichprobengröße sowie der Abstimmungsbegleitzettels entsprechend der Zahl der per Zufallsauswahl gezogenen Klassen der Schule vervielfältigt.
● Das Ausloten der Zustimmigkeiten der einzelnen Schülerinnen und Schüler für die bevorstehende Abstimmung beendete die Vorbereitungsphase.
● In zeitlicher Nähe zum Weltnichtrauchertag erfolgte in Eigenregie der Erprobungsklasse die Abstimmung. Die verantwortlichen Schülerpaare (Freiwilligkeitsprinzip) gingen dazu in die zuvor durch die Plakatwerbung informierten Klassen.
● Eine Schülerin bzw. ein Schüler fasste die Informationen der zur Entscheidung stehenden Problematik standardisiert mit Hilfe des Handouts zusammen und führte dann die Abstimmung durch.
● Die bzw. der andere Wahlverantwortliche füllte parallel dazu den Abstimmungsbegleitzettel aus.
Von der Auswertung zur Präsentation der Ergebnisse
- Bei der Auszählung der über 300 Stimmzettel wurden die gültigen und ungültigen sowie die Ja- und Nein-Stimmen erfasst. Das berechnete Wahlergebnis wurde in ein von der Klassengemeinschaft entwickeltes Ergebnisblatt (Ergebnisformular Auszählung) übertragen.
- Bei der Ergebnisdiskussion fand das in der Vorbereitung der Abstimmung gemeinsam festgelegte Kriterium Berücksichtigung, wonach für ein „positives Ergebnis“ eine qualifizierte Mehrheit von einem 10 Prozent größerem Anteil an Ja-Stimmen bestimmt worden war.
- Diese Mehrheit wurde leider knapp verfehlt - das zeigten die ausgezählten Stimmen (ausgezählte Stimmen). Die Schülerinnen und Schüler wurden in ihrer Erwartung enttäuscht, gingen aber souverän mit diesem Ergebnis um. Es wurde die Erkenntnis formuliert und ernst genommen: „Auch das ist Demokratie!“.
- In unmittelbarem Anschluss an die Auswertung bereiteten die Schülerinnen und Schüler eine Präsentation zur Abstimmung vor. Sie führten die Ergebnisse zu einer Wandzeitung zusammen, die die Schulbeteiligten in zeitlicher Nähe zu der Abstimmung umfassend informieren sollte.
- Aus dem Stimmergebnis leiteten sie die Schlussfolgerung ab, dass mit dem Schülerrat über das Ergebnis diskutiert wird - selbstverständlich aber kein Antrag an die Gesamtkonferenz gestellt werden sollte.
- Im abschließenden Feedback zu dieser Unterrichtssequenz zeigten sich die Schülerinnen und Schüler nicht resigniert, sondern vielmehr motiviert, das Ziel einer „Rauchfreien Schule“ nicht aus den Augen zu verlieren und in diesem Sinne weiter in der Schülerschaft zu propagieren (siehe Punkt 4.2).
Feedback zum Unterricht und Bewertung von Schülerleistungen
- Im Anschluss an jede Unterrichtssequenz wurden die beteiligten Schülerinnen und Schüler zu ihren Eindrücken befragt. Dazu versammelten sie sich in der Aula und erhalten einen auf die spezifische Unterrichtssequenz zugeschnittenen Schülerfragebogen. Ansinnen dieser Evaluation war es auch, ihre Wünsche und Vorstellungen zu künftigen Unterrichtssequenzen zu erfassen und als Grundlage für die Planung weiterer Unterrichtssequenzen heranzuziehen. Zum Ausfüllen der Fragebögen benötigten die Schülerinnen und Schüler ca. 30 Minuten Zeit.
- Die Fragebögen wurden seit dem Schuljahr 2004/05 mit GrafStat (www.grafstat.de) bearbeitet - seit dem Schuljahr 2005/06 geschah dies in Regie unserer Arbeitsgemeinschaft „Informatik“.
- Nach der Erprobung der Unterrichtssequenzen wurden die Erfahrungen und die Ergebnisse unter Mitwirkung der beteiligten Schülerinnen und Schüler auf Dienstberatungen vorgestellt und mit den Anwesenden diskutiert. Die Schülerinnen und Schüler setzten dazu Präsentationsfolien ein, die sie selbst herstellen.
- Aus Auswertungsgesprächen zwischen allen am Programm beteiligten Lehrkräften, der Schulleitung und der BLK-Steuergruppe sowie mit dem Eltern- und Schülerrat wurden wertvolle Anregungen für die weitere Arbeit geschöpft.
Unterstützende Fortbildungen und Schulungen
- 03./04.06.2004: Schülerratstraining Teil 1
- 01./02.10.2004: Umgang mit Konfliktsituationen (SCHILF Teil 1) Gruppe 1
Kooperative Lernformen (SCHILF) Gruppe 2 - 09.02.2005: Umgang mit Konfliktsituationen (SCHILF Teil 2)
- 26./27.10.2005: Schülerratstraining Teil 2
- Teilnahme der BLK-Steuergruppe an der achtteiligen setübergreifenden Fortbildungsreihe „Didaktisches Training in kooperativen Lernformen“ der Programmschulen von Sachsen-Anhalt, organisiert von der Projektleitung am LISA
- 24.11. 2006: Gehirngerechtes Lernen (SCHILF)