Gute Reise! Schüler einer 7. Hauptschulklasse organisieren ihre Klassenfahrt selbst (Schleswig-Holstein)
Voraussetzungen für die Einführung bzw. Durchführung
Welche Bedingungen wurden vor der Einführung geschaffen?
Die Lindenschule Bordesholm
Die Grund-, Haupt- und Förderschule in Bordesholm, im schleswig-holsteinischen Kreis Rendsburg-Eckernförde wird momentan (Schuljahr 05/06) von 640 Schülerinnen und Schülern besucht. In der Orientierungsstufe ist die Hauptschule zweizügig, in Klassenstufe 8 und 9 häufig dreizügig.
Die Schülerinnen und Schüler der Hauptsschule kommen aus Bordesholm und den Umlandgemeinden des Schulverbandes (ländlicher Raum). Allerdings gibt es viele Kleinstheime im Einzugsgebiet und dadurch z.T. eine problembelastete Schülerschaft.
Demokratie an der Lindenschule
Nach dem Motto „Gesehenes verfliegt, Gehörtes verhallt, Erlebtes bleibt“ wird Demokratie an der Lindenschule auf vielfältige Art und Weise und in den unterschiedlichsten Projekten gelernt und gelebt.
- „Gelebtes“ Schulprogramm „Schule im Fluss“ mit den 6 Säulen (s. http://www.lindenschule.de/index2.htm, Bereich Schulprogramm): Starke Persönlichkeiten, Leistung, Rücksicht, Verantwortung, Arbeitsklima und Transparenz. (siehe auch „Allgemeine Kurzbeschreibung des Ansatzes“, S. 7 )
- Teilnahme an „Comenius“ - einem EU-Projekt, in dem sich Lehrer und Schüler in sechs verschiedenen Ländern gegenseitig besuchen um voneinander zu lernen und positive Ansätze in die eigene Schule zu integrieren.
- BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“
- Die SV hat ein gleichberechtigtes Mitspracherecht in sämtlichen Gremien - wobei die Schüler auch wirklich ernst genommen werden.
- Die Konfliktlotsen klären Probleme zwischen Mitschülern allein - ohne die Beteilung von Lehrkräften.
- Im „Trainingsraum“ stehen den Schülern täglich von der 2.-4. Stunde zur Zeit sechs Lehrer abwechselnd zum Thema „Konfliktmanagement“ zur Verfügung.
- Ab der 7. Klasse werden Wahlpflichtkurse für die Schüler angeboten.
- Durch den Klassenrat erfahren die SchülerInnnen, dass Probleme innerhalb der Klasse auch durch selbst- und eigenverantwortliches Handeln gelöst werden können.
- Über das Methodentraining werden die Schülerinnen zum eigenverantwortlichen Arbeiten erzogen.
- Es finden Gruppen- und Projektarbeiten, Präsentationen und projektorientierte U-Einheiten unter der Beteiligung von Schülern statt.
- Schülerprojekte wie Kiosk, Disco oder Spendenaktionen laufen kontinuierlich.
Für 2007 ist ein Nichtraucher-Club mit Schüleraufsicht geplant.
Organisationsrahmen, methodische, didaktische und sonstige Überlegungen zur Klassenfahrt
Zu dem Projekt „Gute Reise“ gehörte sowohl die selbständige Planung vom 25. März bis 13. Juni als auch die Durchführung der Klassenfahrt nach Amrum vom 14.-19. Juni 2003. Die Planung dazu musste ausschließlich im Deutschunterricht erfolgen. Der Deutschlehrer Oliver Hensel wurde dabei von seiner Kollegin Manuela Ladwig unterstützt, die als Förderschullehrerin in drei der vier wöchentlichen Deutschstunden für die Integration der vier FörderSchüler in der Klasse eingesetzt ist. Der hohe Zeitaufwand für die Planung und Organisation der Klassenfahrt lässt erkennen, dass dieser Bereich einen besonders wichtigen Bestandteil einnimmt.
Folgende Planungsschritte wurden bereits im Vorfeld und ohne Einbezug der Schüler vollzogen:
- Buchung einer Klassenfahrt nach Amrum für den o.g. Zeitraum durch die ehemalige Klassenlehrerin Sabine Schittig im Frühjahr 2002
- Erstes „Set-Treffen“ der am BLK-Programm teilnehmenden sieben Schulen aus Schleswig-Holstein am 01. September 2002
- Absprachen mit der Koordinatorin des BLK-Programms für Schleswig-Holstein über die Ausgestaltungsmöglichkeiten des Programms „Demokratie lernen & leben“ an der Lindenschule Bordesholm
- Festlegung auf die Umsetzung des Moduls 3: „Schule als Demokratie“ in Form einer von Schülern selbstständig geplanten und durchgeführten Klassenfahrt
- Gemeinsame methodische Überlegungen zur praktischen Umsetzung des Vorhabens mit den federführenden Lehrkräften des BLK-Programms für die Lindenschule (Sabine Schittig, Christiane Möller, Uwe Sutter und Oliver Hensel ) am 27. Dezember 2002
- Einberufung des Elternabends mit der Vorstellung der geplanten inhaltlichen Konzeption am 03. April 2003.
Situation der Klasse
- Eine insgesamt aufgeschlossene und freundliche Klasse , in der ein hilfsbereites und positives soziales Klima herrschte.
- Die Klasse bestand aus 22 Schülern und setzte sich aus sieben Mädchen und 15 Jungen zusammen.
- Die meisten Schüler kannten sich aus der fünften Hauptschulklasse und einige bereits aus der Grundschule.
- Alle Schüler hatten bereits an mehreren Klassenfahrten teilgenommen und hier individuell verschiedene Erfahrungen gemacht, auf die sie zurückgreifen konnten.
- Das Thema Klassenfahrt stellte für alle einen hohen Motivationsfaktor dar. Schon Wochen vor dem eigentlichen Vorhaben fragten sie etwa, wann endlich über die Zimmerverteilung o.ä. gesprochen werden könne.
- Auf der Basis dieser hohen Motivation stellte sich die Förderung von Mitwirkung, Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein in Verbindung mit dem Thema Klassenfahrt als eine geeignete und vielversprechende Möglichkeit dar.
- Dabei war es für alle Schüler neu, sich an der Planung der Fahrt intensiv und aktiv zu beteiligen und sich mit den verschiedensten Teilaspekten auseinandersetzen zu müssen, wie z.B. dem Erstellen einer Packliste oder der selbstbestimmten und lehrerunabhängigen Abstimmung über zu planende Aktivitäten.
Voraussetzungen bei den Schülern
- Wissen, Können für Planung, Durchführung und Bewertung einer Arbeit
- Denn: fehlende Techniken und fehlendes Grundwissen führen zu Entmutigung, Dilettantismus, miserablen Ergebnissen.
- Mut zum Selbertun, Zuversicht bei der Planung und Durchführung, Freude am unabhängigen Arbeiten
- Schüler konnten im vierten und fünften Schuljahr Erfahrungen in Bezug auf Klassenfahrten sammeln.
- Schüler sind offenen Unterricht gewohnt (handlungsorientierter Unterricht / Kleingruppenarbeit; Partner- und Gruppenarbeit, Wochenplanarbeit)
- Schüler kennen aus dem WiPo-Unterricht bereits die Mitbestimmung bei Unterrichtsinhalten und -einheiten im Rahmen der offiziellen Vorgaben (Lehrplan)
- Schüler kennen die Bedeutung elementarer Gesprächsregeln (Ausredenlassen der Mitschüler, konsequentes Einhalten der vom Diskussionsleiter geführten Rednerliste, bewusstes Begründen von geäußerten Argumenten)
- Schüler können Ergebnisse einer Klasse präsentieren (und die Klasse ist in der Lage, sich anschließen konstruktiv mit diesen Ergebnisse auseinander zu setzen).
Entwicklungspsychologische Voraussetzungen
- Im Zeitraum der Planung und Durchführung waren die SchülerInnen zwischen 13 und 15 Jahre alt. Damit befanden sie sich entwicklungspsychologisch in der Phase der Adoleszenz.
- Durch die vier Geburtsjahrgänge und der daraus resultierenden unterschiedlichen Reifungs- und Entwicklungsgrade war die Klasse heterogen besetzt. Diese Tatsache musste bei der Vorbereitung der Planung berücksichtigt werden, da sich dadurch nicht nur unterschiedliche Leistungsmöglichkeiten, sondern auch unterschiedliche Einstellungen und Motivationen ergaben.
Voraussetzungen bei den Lehrern
- Vertrauen und Zutrauen in die Fähigkeiten der SchülerInnen („Die schaffen das schon!“)
- Fähigkeit vom Rollenwechsel (Moderator/Coach statt „klassischer Pauker“) im Sinne von „Hilfe zur Selbsthilfe“
Phasen der Wissensvermittlung
Um die Schüler zur Planung anzuleiten, mussten auch Phasen der reinen Wissensvermittlung eingeplant werden.
Reflexionsphasen
Darüber hinaus war die zentrale Bedeutung von täglichen Reflexionsphasen wichtig, in denen die Schüler u.a. sowohl eigene als auch fremde Leistungen erkennen und einschätzen konnten.
Gruppenarbeit als Sozialform
Als Sozialform wurde in erster Linie Gruppenarbeit als sinnvoll angesehen, da auch die Förderung der Kooperationsbereitschaft bzw. -fähigkeit ein Teilziel des Projektes darstellte. Aus diesem Grund wurde festgelegt, dass für jeden Tag der Klassenfahrt eine einzelne Planungsgruppe zuständig sein sollte, die den Tagesablauf sowohl plante als auch auf der Klassenfahrt selbst für die Durchführung der Planungen verantwortlich sein sollte.
Programmplanung und Präsentation
Um die konkreten Tagesaktivitäten planen zu können, mussten die Schüler aus einer großen Anzahl von Möglichkeiten interessante Aktivitäten auswählen und zu einem ansprechenden Programm zusammenstellen. Dieses erstellte Programm sollte grundsätzlich der Klasse vorgestellt und gemeinsam diskutiert werden. Dabei war es besonders wichtig, dass die von Mitschülern vorgetragenen und stichhaltigen Argumente überdacht werden und ggf. von der Gruppe in die Planungen mit einbezogen werden konnten. Um ein solches demokratisches Verhalten auszuleben, sollten auch verschiedene grundsätzliche Fragen im Rahmen des Klassenverbands erörtert, diskutiert und ggf. auch abgestimmt werden. Hierzu gehörten zum Beispiel die Frage, ob etwa Gameboys, CD-Recorder („Ghettoblaster“) oder Skateboards mitgenommen werden sollten.
Feedbackkultur
Um bei der Durchführung der Klassenfahrt eine regelmäßige Überprüfung des Ablaufs im Sinne eines feedbacks sowohl an als auch durch die Planungsgruppe ermöglichen zu können, sollten jeden Abend Gesprächsrunden eingeplant werden. Hier sollte einerseits der geplante mit dem tatsächlichen Ablauf verglichen werden und andererseits auch ggf. geänderte Planungen für den folgenden Tag besprochen werden.
Evaluation
Die Auswertung der Fahrt sollte sowohl durch zahlreiche Gespräche mit den Schülern, insbesondere aber durch einen Fragebogen erfolgen, der ca. eine Woche nach der Fahrt beantwortet werden sollte.
Die Beantwortung der Ausgangsfrage, ob Schüler einer siebenten Klasse in der Lage sind, eine Klassenfahrt selbstständig durchzuführen, auf der dieses Projekt basiert, soll durch folgende Maßnahmen geleistet werden: die Darstellung der Planungsstunden im Unterricht, die kritische Betrachtung des Klassenfahrtverlaufs und die Auswertung des Fragebogens und der Rückmeldung und Reaktionen der Schüler.