Der Demokratiekurs – ein curricularer Baustein der Demokratieerziehung (Berlin)
Durchführung bzw. Ablauf (inkl. Verantwortlichkeiten)
Welche Schritte kennzeichnen die Durchführung?
Der Demokratiekurs als Bildungsangebot in der gymnasialen Oberstufe
- In Verbindung mit den Themenfeldern Demokratie, Toleranz, Widerstand gegen Gewalt, Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus werden im Demokratiekurs Methoden selbstständiger und partizipatorischer Arbeits- und Projektplanung vermittelt und kommen zur Anwendung.
- In zunehmend komplexen Lernsituationen werden die methodischen und inhaltlichen Grundlagen für selbstständige Projektarbeit gelegt.
- Dabei vollziehen die Kurs-Teilnehmer/innen den Schritt vom „geschützten“ pädagogischen Raum des Kurses in den „teil- bzw. ungeschützten“ Raum der Schule bzw. des schulischen Umfelds.
- Peu à peu werden die Schüler/innen auf die Anforderungen der BLL vorbereitet.
Zeitliche Struktur des Demokratiekurses§ Der Demokratie-Kurs
- „Demokratie lernen und leben“ findet als 2-semestriger Seminarkurs in der Oberstufe der KTO statt.
- Die Zeitplanung innerhalb eines Semesters sieht folgende Verteilung vor:
18 Unterrichtswochen im Halbjahr; davon
12 Unterrichtswochen geplante thematische Blöcke;
1 Unterrichtswoche für die Zusammenarbeit mit SV-Vertretern;
1 Unterrichtswochen für eine abschließende Evaluation;
4 Unterrichtswochen als Zeitpuffer, wenn einzelne Blöcke erweitert werden oder sich aus anderen Gründen verlängern. - Der Unterricht findet in 3-Stunden-Blöcken pro Unterrichtswoche statt.
- Die Kurs-Teilnehmer/innen bestimmen die Länge der Unterrichtsphasen und die Festlegung von Pausen selbst.
Der 45-Min-Takt ist aufgelöst. - Die unten aufgeführten Unterrichtsblöcke stellen keine chronologische Reihenfolge dar. Sie sind variierbar und können an die jeweilige Lerngruppe angepasst bzw. mit ihr abgestimmt werden.
Curriculare Inhalte des Kurses (Curriculare Struktur) im Überblick: 1. Semester
1. Block (ca. 3 Unterrichtsstunden) : Nachdenken über Lernen
- Warum und wofür lernen wir?
- Schülerbefragung mit Auswertung, Lerntypentest; Selbstcheck „Mein Lernverhalten“ (Quelle: Beck, Reinhilde u. Birkle, Waltraut (2004): Der Lerncouch. Material- und Methodensammlung zur Gestaltung von Trainingseinheiten zum Thema Lern- und Selbstmanagement. Interaktive Medien Verlag)
- Lernstrategien entdecken
2. Block (ca. 3 Unterrichtsstunden): Zukunftswerkstatt
- Wie wünsche ich mir meine Schule?
- Was erwarte ich vom Seminarkurs?
- Was kann von mir/ was soll im Demokratiekurs umgesetzt werden? (Materialhinweis: Jürgensen, Erwin (2000): Von der Klasse zum Team. Unterrichtsvorschläge zum themen-, methoden- und beziehungsorientiertem Lernen. Frankfurt a. M.: Diesterweg, S. 38-60)
3. Block (ca. 9 Unterrichtsstunden) : Kommunikationstraining
- Miteinander reden – die Grundlagen der Kommunikation
- Überzeugend argumentieren und vortragen, freies Sprechen, Rhetorik (Materialhinweis: Kolossa, Bernd (2000): Methodentrainer. Arbeitsbuch für die Sekundarstufe II Gesellschaftswissenschaften. Berlin: Cornelsen, S. 149)
4. Block (ca. 9 Unterrichtsstunden) : Methoden der Arbeits- und Zeitplanung und des Projektmanagements
- Präsentation und Moderation
- Arbeitstechniken der Strukturierung (Brainstorming, Mind-Mapping)
- Projektmanagement (an Hand der praktischen Umsetzung) (Basisinformation)
- Zeitplanung (Basisinformation Zeitmanagement)
5. Block (ca. 6-9 Unterrichtsstunden): exemplarisch ein inhaltliches Thema, z.B. „Zivilcourage“
- Anti-Rassismus-Training
- Argumentieren gegen Stammtischparolen
- Deeskalationstraining
Curriculare Inhalte des Kurses (Curriculare Struktur) im Überblick: 2. Semester
6. Block (ca. 9 - 12 Unterrichtsstunden): Komplexe Kommunikations- und Interaktionsspiele
- Pro- und Kontra-Debatten, Parlamentsdebatten, Rollenspiele, Planspiele
- Rollenspiel „Die Kuba-Krise 1961“
7. Block (ca. 9 - 12 Unterrichtsstunden): Planspiel – z. B.: Bergstadt soll 20 Asylbewerber bekommen.
(Materialhinweis: Klippert, Heinz (1999): Planspiele, Speilvorlagen zum sozialen, politischen und methodischen Lernen. Weinheim: Beltz, S. 62ff.)
- Sich sachkundig machen, vorbereiten und durchführen eines Planspiels
außerdem: Projektplanungsberatung (ca. 9 Unterrichtsstunden) - Auswahl und Bearbeitung eines Projektthemas durch Einzelne oder Gruppen
- Beratungen einzelner Teilnehmer/innen oder Kleingruppen durch FSJler bzw. Lehrer
- Erarbeitung einer Projekt-Grobplanung (Bsp. Projekt-Grobplanung, Schuljahr 2005/06, Erstellung eines Films „Denk mal! Blick zurück nach vorn“ – DVD, erhältlich bei der KTO)
Exemplarische Darstellung des Verlaufs eines Unterrichtsblocks: „Kommunikation“ (3. Block) aufgegliedert nach Unterrichtssequenzen
Themeneinheit 1:
- Grundlagen der Kommunikation (Lehrervortrag mit Folien: „Eisbergmodell“; „Die vier Seiten einer Nachricht“, Schulz von Thun, F., 1981)
- Übung zur Inhaltsebene: „Einweg-Kommunikation“ (Bild beschreiben / zeichnen; in Partnerarbeit; s. Antons, K., 1991, 3.1)
- Übung zur Beziehungsebene: „Das Ei“ (Loriot, o. A.) bzw. „Ehepaar erzählt Witz“ (Tucholsky, o. A.); (Partnerarbeit, Unterrichtsgespräch oder Auswertung mit Arbeitsblatt und danach Unterrichtsgespräch)
- Typische Störungen in der Kommunikation (Lehrervortrag mit Folie / Arbeitsblatt „Kommunikation“, Unterrichtsgespräch)
Themeneinheit 2:
- Warum wir nicht nicht-kommunizieren können! (s. z. B.: Watzlawick, P. 1969) (Lehrervortrag, Unterrichtsgespräch mit Folie: „Filter“ / „Störungen“)
- Sein eigenes Selbstwertgefühl kennen lernen (Arbeitsblatt „Eigene Wirklichkeit, Pranger, Fehler“ in Einzelarbeit nach Birkenbihl, M., 1991)
- Übung: „Paar-Interview“ (Antons, K., 1991, Kap. 4.1; Gudjons, H., 1992, S. 89)
- Übung: „Kontrollierter Dialog“ (s. Antons, K., 1991, Kap. 3.5 – 3.9)
- Arbeitsblatt „Regeln für das Feedback“ (s. Antons, K., 1991, Kap. 4.9, Kirsten, R. E.; 1986, S. 135; s. Gudjons, H., 1992, Kap. 2.5)
Themeneinheit 3:
- Konfliktfelder erkennen und vorbeugen (Lehrervortrag, Unterrichtsgespräch mit Folie)
- Konfliktursachen erkennen („Die Geschichte mit dem Hammer“, Watzlawick, P., 1983; Sch liest Geschichte, Arbeitsblatt mit Fragen in Einzelarbeit)
- Mit Konflikten umgehen lernen (Miller, R., 2005, S. 22-26)
- Eine Streit-„Kultur“ entwickeln - Kooperation ohne Sieger und Besiegte (Miller, R., 2005, S. 27-37)
Konflikte aufgreifen und bearbeiten
- Die vielfach offene Situation des Unterrichtsverlaufs oder die Veränderungen bekannter Rollen innerhalb des Demokratiekurses führen gelegentlich zu Verunsicherungen der Teilnehmer (Bsp.: bereits getroffene Entscheidungen zu einer Projektplanung werden revidiert; eine ad hoc übernommene Kursleitung durch einen Schüler führt zu Kritik an dessen Führungsstil).
- Durch pädagogische Begleitung der Lehrpersonen erkennen die Kursteilnehmer Auswirkungen eigenen Verhaltens auf Kursmitglieder (Bsp.: „negatives“ Feedback). Sie erkennen die Notwendigkeit und Chance, die in der aktiven Bearbeitung derartiger Konflikte liegt.
- Die Lehrpersonen sorgen dafür, dass Rollenerwartungen und auch Vorstellungen von Lernprozessen immer wieder thematisiert werden. Dazu setzen sie u. a. am Ende jeden Blockes Evaluationsformen ein, z. B. eine so genannte Evaluationszielscheibe ein (s. z. B. Rolff, H.-G. u. a. 1998, S. 364).
Leistungsnachweise und Formen der Bewertung im Seminarkurs
- Auf (sonst übliche) Klausur(en) als Leistungsnachweis wird verzichtet.
- Stattdessen führen die Teilnehmer/innen eine Präsentation oder eine Moderation zu einem selbst formulierten oder einem Themenangebot entnommenen Thema durch. Zum Ende des 2. Semesters wird ihre Projekt-Grobplanung präsentiert.
- Eine solche Leistung wird einer Selbst- und einer Fremdbewertung (durch Mitschüler und Lehrkräfte) unterzogen.§ Für die Bewertungen werden Instrumente wie Checklisten verwendet, mit denen im Ankreuzverfahren die Qualität der aufgestellten Kriterien festgestellt wird. Die Kriterien werden aus den vorangegangenen Unterrichtssequenzen abgeleitet.
- Die Bewertung ist eingebunden in die Entwicklung einer Feedback-Kultur.
- Auf die zu den Lehr- und Lernformen passende Bewertung werden die Lernenden durch Übungen (u. a. zum Vergleich zwischen Selbstbild und Fremdbild) vorbereitet.
- Präsentationen, Reflexionen darüber sowie Selbst- und Fremdbewertung stellen bereits eine Art Vorübung für das später auf die Schüler/innen zukommende Kolloquium dar.
- Zum Ende jedes Halbjahres, teilweise auch während des Halbjahres, lassen auch die Lehrkräfte sich von den Teilnehmer/inne/n ein Feedback z. B. in Form einer „Blitzlichtrunde“ (kurze individuelle Teilnehmeräußerungen) oder mit Hilfe einer so genannten Evaluationszielscheibe geben (s. z. B. Rolff, H.-G. u. a., 1998).
Rolle der Lehrkräfte
- Die Lehrkräfte verstehen sich als Lernbegleiter und Moderatoren der Lernprozesse. Sie vermitteln das methodische Wissen am fachlichen Gegenstand. Sie sorgen für die Gestaltung entsprechender Lernsituationen.
- Sie lassen ihre Schüler/innen in einem auf den Lernprozess abgestimmten Maße an der Unterrichtsplanung und -organisation partizipieren.
- Sie öffnen ihren Unterricht für Kolleg/inn/en und für außerschulische Partner/innen.
- Sie sind Ansprechpartner für die FSJler.
Rolle der FSJ-ler im Demokratiekurs
- Im Demokratiekurs bilden sie das Bindeglied zwischen Lehrer/inne/n und Lernenden. Sie versuchen einen schrittweisen Abbau der Rolle der Lehrpersonen und eine Stärkung des Selbstwertgefühls Lernenden und ihrer Kompetenzen im Sinne des Peer leadership-Prinzips aufzubauen. Sie füllen Kooperationslücken zwischen Lehrern und Schülern, die sich auf Grund steigender Aufgaben bei sinkenden Ressourcen auftun.
- Sie verstehen sich als Vermittler, Organisatoren, Trainer, Helfer, Paten, Mentoren. (vgl. http://www.buddy-projekt.de)
Funktion des Teamteaching
- Die Seminarkursthemen, demokratischen Kompetenzentwicklung, die angebotenen Übungen und Konfliktsituationen haben gruppendynamische Prozesse zur Konsequenz.
- Ein Lehrerduo teilt sich deshalb Aufgaben: Ein Kollege übernimmt die inhaltliche Steuerung eines Themas. Der Andere widmet sich gruppendynamischen Abläufen.
- Unterschiedliche Haltungen und Wertungen innerhalb des Lehrerteams werden zum Gegenstand des Lernprozesses. Schülern wird die Erkenntnis ermöglicht, dass Wertungen von der wertenden Person und ihrer jeweiligen Perspektive abhängen. Schüler lernen selbst Stellung zu beziehen.
Verbindung zur Schülervertretung (SV)
- Die AGs der SV kommen einmal pro Semester in den Demokratiekurs und informieren über ihre Arbeit, aufgetretene Probleme und anstehende Projekte.
- Der Demokratiekurs fungiert hier als Diskussionsforum und Think tank für die SV. Die Kursteilnehmer/innen werden an die realen Probleme, Konflikte oder Projekte der SV herangeführt bzw. entwickeln Lösungsstrategien.