Der Demokratiekurs – ein curricularer Baustein der Demokratieerziehung (Berlin)
Voraussetzungen für die Einführung bzw. Durchführung
Welche Bedingungen wurden vor der Einführung geschaffen?
Unterstützungsstrukturen für Schulentwicklung an der KTO
- Engagierte Schüler/innen und zwei Lehrer/inne/n der KTO initiierten 2001 im Anschluss an die Projektwoche den Arbeitskreis „Tucholsky-Forum“. Im Schuljahr 2001/02 trafen sich ca. 15 interessierte Jugendliche regelmäßig. Ihr Interesse und Engagement galten der Demokratisierung der Schule. Ein Ergebnis der Arbeit war die Umstrukturierung der Schülervertretung (SV).
- Beide Lehrer/inne/n waren Initiatoren der AG „Schulentwicklung“. Damit wollten sie 2001 Schulentwicklung und Profilierung der Schule voranbringen. Beide wirken kontinuierlich als Ideengeber für die Schulprogrammarbeit mit. An der AG nahmen anfangs regelmäßig ca. sechs interessierte und engagierte Kollegen teil.
Die AG wollte die bereits vorhandene musische Profilierung in ein übergeordnetes Schulprogramm mit dem Schwerpunkt „Demokratisierung von Schule“ integrieren. - Aus der AG ist in Zusammenhang mit der Mitarbeit am BLK-Programm eine Steuergruppe für Schulentwicklung hervorgegangen. Sie wurde 2004/05 institutionalisiert. Lt. Beschluss der Lehrerkonferenz setzt sie sich aus 17 Personen zusammen: Fachbereichsleiter und Fachleiter bzw. ihre Vertreter, Mitglieder der Schulleitung, Lehrer/innen.
Eltern und Schüler/innen sind zurzeit noch nicht einbezogen. - Mit dem neuen Berliner Schulgesetz vom Januar 2004 (Schulgesetz für das Land Berlin) sind Schulen beauftragt worden, bis zum Jahr 2006 ein Schulprogramm zu erarbeiten und die entsprechende Schulentwicklungsarbeit bis 2008 zu evaluieren.
Von den Initiator/inne/n und der Schulleitung wurde dies als Chance gewertet, die Demokratieerziehung in den Mittelpunkt zu stellen.
Das Vorhaben wurde am Namensgeber der Schule – Kurt Tucholsky – festgemacht. Seine unterschiedlichen Tätigkeiten (Literat, Publizist) und Eigenschaften (Europäer, kritischer Zeitgenosse) eignen sich als Leitbild für das Schulprogramm. - An der KTO sind Fachbereiche für Schulentwicklungsprojekte zuständig. Die beiden Initiatoren bringen ihre Vorhaben in ihre jeweiligen Fachbereiche ein.
- Über die Schulkonferenz sind die Elternvertreter über Schulentwicklungsprozesse informiert, allerdings noch nicht aktiv einbezogen. Zunächst geht es darum die Mitglieder des Kollegiums als Aktive zu gewinnen.
- Diesen schrittweisen Implementationsprozess der Demokratieerziehung als gemeinsamen Entwicklungsschwerpunkt aller schulischen Akteure begleitet eine externe Organisationsentwicklerin. Sie unterstützt den Arbeitsprozess der Steuergruppe. Ihre Beratungstätigkeit wurde durch das BLK-Programm ermöglicht.
Initiierung des Demokratiekurses
Von den zwei Initiator/inn/en wurden im Zeitraum (2001-2002) die konzeptionellen Bausteine des Seminarkurses „Demokratie lernen und leben“ entwickelt (s. u.).
- Sie führten Gespräche mit der genehmigenden Behörde.
- Von ihnen wurden Kontextbedingungen für den Demokratiekurs geschaffen, Kooperationspartner gefunden und Ressourcen akquiriert.
Allgemeine konzeptionelle Eckpunkte des Demokratiekurses
- Im Demokratiekurs wird selbstständiges und eigenverantwortliches Arbeiten der Schüler vorbereitet und umgesetzt.
- Der Demokratiekurs wird als Grundkurs angeboten.
Der Grundkurs und das sich daran anschließende selbstständige Projekt können als Besondere Lernleistung (BLL; fünftes Prüfungselement) in das Abitur eingebracht werden. Der besonderen Schülerschaft einer Gesamtschule wird dadurch Rechnung getragen, dass neben wissenschafts-propädeutischen handlungsorientierte Zugänge zur Erbringung einer BLL möglich sind. - Für diesen Grundkurs werden entsprechende curriculare Elemente entwickelt und über ein internes Curriculum verbindlich gemacht.
- Der Demokratiekurs basiert im Wesentlichen auf drei Bausteinen:
1. Unterricht
2. Lernen in Projekten
3. Demokratie in der Schule
Konzeptionelle curriculare und organisatorische Überlegungen zum Baustein 1: Unterricht
- Teamwork, Kommunikation, effektive Koordination und selbstständige Auseinandersetzung mit offenen Situationen und Problemen werden heutzutage immer wichtiger. Schulischer Frontalunterricht im 45-Minuten-Takt kann dazu wenig beitragen.
- Im Rahmen dieses Bausteins werden Wege und Methoden gesucht und erprobt, wie soziale Prozesse beim Lernen thematisiert, strukturiert und wirksam werden können.
- Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt: Wie kann Unterricht mehr reale Verantwortung und Selbstbestimmung der Lernenden - sowohl als Individuum als auch als Lerngruppe – ermöglichen? Durch welche Unterrichtsgestaltung lassen sich Schüler/innen mit unterschiedlichen Begabungen, Lerngeschwindigkeiten und Interessen motivieren und fördern? Wie können Schüler/innen zu Subjekten selbstbestimmten Lernens werden?
Konzeptionelle curriculare und organisatorische Überlegungen zum Baustein 2: Lernen in Projekten
- Unbestritten ist, dass Projekte in vielerlei Hinsicht optimale Lernvoraussetzungen und -anreize bieten. Wenn nicht allein die Gegenstände fachlichen Lernens, sondern gemeinsame Ziele, kooperative Formen des Lernens und die Lösung sinnvoller Probleme im Vordergrund stehen, werden die individuelle Handlungskompetenz von Schüler/innen gestärkt und der Aufbau sozialer Kompetenzen gefördert. Entscheidend sind zwei Anforderungen, die für das Lernen in Projekten gewährleistet sein müssen:
- Projekte müssen durch die Schüler/innen kompetent geplant und durchgeführt werden.
- Zudem dürfen sie nicht zum Randprogramm des schulischen Bildungsangebots degradiert werden. Vielmehr sollen sie als Teil eines demokratischen Mitentscheidungs- und Aushandlungsprozesses unter Mitschüler/innen sowie zwischen Lehrer/innen und Schüler/innen quantitativ und qualitativ eine eigenständige und nachhaltige Bedeutung im schulischen Lernen und Leben bekommen. Erst dadurch entfalten sie ihre bereichernde Funktion für die Schüler/innen wie auch für die Schule.
Konzeptionelle curriculare und organisatorische Überlegungen zum Baustein 3: Demokratie in der Schule
- Getreu dem Motto von Max Frisch „Demokratie heißt, dass sich Leute in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen“ geht es einerseits darum, unmittelbare Fragen und Probleme des schulischen Alltags im Unterricht zu thematisieren und zu reflektieren. Andererseits ist es notwendig, dass Schule sich öffnet und Partner findet, die sich an ihrem Lernangebot beteiligen. Damit überwindet eine Schule ihre (weitgehende) Abgeschlossenheit gegenüber der Lebenswelt von Jugendlichen. So basieren Lernprozesse weniger auf „aseptischen“ Unterrichtseinheiten. Sie werden real erfahrbar.
- Unser Kooperationspartner ist der „Kinderring Berlin e.V.“ (www.kinderring-berlin.de).
- Zur demokratischen Kultur der Schule gehört es, den alltäglichen Umgang mit Unterschieden, die konstruktive Lösung von Konflikten und die Anerkennung ganz verschiedener Stärken des Einzelnen auf allen Ebenen des Schullebens neu zu verankern. Dazu zählen wir Mitwirkung bzw. Mitarbeit u. a.: in der SV oder in den regelmäßigen SV-AGs; im Nachhilfeprojekt, in den Fachbereichen bei der inhaltlichen und organisatorischen Arbeit, in der Konfliktbewältigung in Buddy-Gruppen oder als Konfliktlotse, in der Peerleader-Arbeit z. B. als Pate von Mitschülern oder Klassen; in der Projektorganisation, bei Schulfesten. Auch die Ablehnung und der aktive Umgang mit rechtsextremen, rassistischen, sexistischen und auch antisemitischen Denk- und Handlungsmustern spielt hierbei eine wesentliche Rolle. Damit soll einerseits das starre Rollenmuster von Schüler/inne/n und Lehrer/inne/n durchbrochen werden und andererseits auf neuere Entwicklungen, die von weniger politisch Interessierten kaum wahrgenommen werden, aufmerksam gemacht werden.
- Die Arbeit der seit 2002 neu konzeptionierten SV soll mit der Arbeit der Schüler/innen des Demokratiekurses verschränkt werden (s. u. Kooperationspartner/innen).
Genehmigung und Start des Demokratiekurses
- Da der konzeptionierte Demokratiekurs aus dem Curriculum der Grundkurse inklusive der vorgesehenen Bewertungsformen heraus fällt, bedurfte es einer Genehmigung durch die Schulaufsicht.·
- Im ersten Halbjahr 2002 wurden von einem der beiden Initiatoren Gespräche mit Vertretern der Senatsschulverwaltung (oberste Schulaufsicht in Berlin) geführt. ·
- Als wichtigste Punkte waren zu klären:
1. Übereinstimmung des Demokratiekurses mit curricularen Anforderungen der BLL,
2. Form und Inhalte der Bewertung
3. Bewertung der Projektphase bzw. des Projekts. - Mit Bescheid vom 05.06.2003 wurde die Genehmigung für einen zweisemestrigen Seminarkurs in der gymnasialen Oberstufe mit anschließender Projektphase im Rahmen der BLL erteilt. Damit ist der Demokratiekurs anderen Kursangeboten gleichwertig.
- Mit Beginn des Schuljahres 2003/04 startete der erste Demokratiekurs an der KTO.
- Er wird jährlich angeboten. Es können maximal 20 Schüler/innen teilnehmen.
- An den Seminarkurs schließt sich über weitere 2 Semester die selbstständige (durch Lehrer und außerschulische Partner begleitete) Arbeit von Oberstufenschüler/inne/n an: Im 3. Semester wenden sie ihre im Grundkurs erworbenen Kompetenzen in der Realsituation eines eigenverantwortlich durchgeführten einwöchigen Projekts an. Sie sind Projektleiter/innen einer Projektgruppe von Mitschüler/inne/n aus den 7. bis 11. Klassen. Sie sind verantwortlich für Projektfeinplanung, Projektdurchführung und Projektdokumentation (Arbeitsbericht). Im 4. Semester verteidigen sie im Rahmen eines ca. 20 bis 30minütigen Kolloquiums die Projektdokumentation und das Projektergebnis.
Interne und externe Kooperationspartner/innen für den Demokratiekurs
- Einige Schüler/inne/n des o. g. Tucholsky-Forums hatten Interesse nach dem Abitur weiter an der Demokratisierung der KTO mitzuwirken. So wurde gegen Ende des Schuljahres 2001/02 die Idee geboren das „Freiwillige Soziale Jahr“ (FSJ) – eine Ersatzleistung für den Militärdienst – auf die Mitarbeit an einer Schule zu übertragen.
- Um diese Idee umzusetzen wurde eine Zusammenarbeit mit dem „Kinderring Berlin e.V.“ vereinbart (Kooperationsvereinbarung). Er ist ein freier Träger der Jugendhilfe. Seit Schuljahr 2003/04 beschäftigt er die Praktikanten und stellt sie als FSJler zur Mitarbeit an die KTO ab (www.kinderring-berlin.de). Da ein Zuschuss vom Zivildienstamt gewährt wird, kommen bislang leider nur männliche FSJler in Frage.
- Die FSJler nehmen u. a. als Lernbegleiter und -betreuer während der Unterrichtszeit am Demokratiekurs teil. Außerdem stehen sie den Demokratiekurs-Absolvent/inn/en als Betreuer während der anschließenden Projektarbeitsphase zur Verfügung.
- Darüber hinaus beraten sie die SV, organisieren Schülerprojekte und Schulfeste, helfen bei der Schülerzeitung, schlichten Konflikte zwischen Lehrern und Schülern, pflegen Kontakte nach Außen u.a. und haben so eine wichtige Funktion in der Entwicklung und Begleitung des gesamten Schulentwicklungsprojekts der KTO.
- Dieser Erfindung der KTO, ein FSJ an der eigenen (ehemaligen) oder auch an fremden Schulen durchzuführen, haben sich inzwischen drei weitere Berliner Oberschulen angeschlossen (1 Gesamtschule, 2 Gymnasien).
- Die Schüler/innen des Demokratiekurses haben über ihre Schülervertreter Zugang zur SV. Seit ihrer Umstrukturierung 2002 arbeitet die SV in fünf Arbeitsgruppen: 1. Inneres, 2. Äußeres, 3. Kulturelles, 4. Finanzen und 5. Öffentlichkeitsarbeit.
In diesen regelmäßig tagenden AGs können Vertreter/innen aus allen Jahrgängen mitarbeiten. Ihr Programm gibt sich die SV anfangs eines jeden Schuljahres auf einer SV-Fahrt. Die Fahrt ist mit einer Methodenschulung kombiniert und fördert die sozialen Bindungen für eine verbindliche SV-Arbeit. Eine Gruppe von SV-Vertretern (Sprecherrat) leitet mit Unterstützung der FSJler die SV-Arbeit.
Ressourcen
- Seit 2003/04 waren zunächst 3, danach nur noch 2 Praktikanten des FSJ jeweils 40 Stunden pro Woche an der KTO.
- Ihre Finanzierung erfolgt im Wesentlichen durch unseren außerschulischen Partner, den „Kinderring Berlin e.V.“ (www.kinderring-berlin.de).
- Die zuständige Zivildienststelle weist 2/3 bis 4/5 der Personalkosten der FSJler dem „Kinderring Berlin e.V.“ an. Die fehlenden Mittel akquiriert die KTO mit Einfallsreichtum. Zum Beispiel zahlt jede/r Teilnehmer/in einer Klassenfahrt 1,- € zusätzlich, der zweckgebunden dieser Maßnahme zufließt.
- Dem Demokratiekurs werden 3 Lehrerwochenstunden aus dem Unterrichtsstundenbudget der Schule zugewiesen. Zwei Lehrkräfte teilen sich dies auf, (pro Lehrer 1,5 Std.), so dass sie damit während ihrer dreistündigen Unterrichtsblöcke Teamteaching realisieren können.
- Für die Betreuung der Demokratiekurs-Absolvent/inn/en im 3. u. 4. Semester erhalten beide Lehrer/innen ebenfalls gemeinsam 3 Lehrerwochenstunden.
- Kosten für die Durchführung der Projektwoche können in geringem Umfang durch die Verbrauchsmittel der Schule gedeckt werden. Für darüber hinaus gehenden Bedarf müssen zusätzliche Mittel akquiriert werden.
- Das BLK-Programm stellt der Schule insgesamt 500 € Sachmittel und 1500 € Honorarmittel zur Verfügung. Daraus wird u. a. die Organisationsentwicklerin finanziert.