Warum verstehen wir uns nicht? Ein besseres Miteinander durch die Erarbeitung von Kommunikationsregeln (Freistaat Sachsen)
Durchführung bzw. Ablauf (inkl. Verantwortlichkeiten)
Welche Schritte kennzeichnen die Durchführung?
Vorbereitung der pädagogischen Tage
Die erweiterte Schulleitung setzte sich als erstes zusammen und beriet mögliche Schritte für die Umsetzung der Ziele zu einer veränderten Kommunikation und Kooperation. Diese vorläufigen Vorschläge wurden den Lehrern in einer Dienstberatung unterbreitet und mit ihnen weiter entwickelt. Eine Neuorientierung in Bezug auf Kommunikation und Kooperation in der Schule einzuleiten ist ein großes Ziel, das strategisch erst einmal eine Umsetzungsidee braucht. Die Diskussion im Kollegium ergab, dass sich das Konzept der pädagogischen Tage für einen entsprechenden „Aufbruch“ gut eignen könnte. Pädagogische Tage haben sich an der 141. Mittelschule schon mehrfach als Grundlage für darauf aufbauende Veränderungen erwiesen und werden immer als ganz praktischer Teil der Umsetzung des Leitbildes und der Ziele des Schulprogramms verstanden. So wurde beschlossen, zwei pädagogische Tage zum Thema Kommunikation durchzuführen, Schüler und Lehrer sollten nähere Themen für die Tage anhand ihrer Bedürfnisse spezifizieren.
Um den Gesamtprozess durch eine kompetente Außenperspektive zu bereichern, schlug die Schulleitung die Einbindung eines externen Beraters vor, der auch als Moderator für die pädagogischen Tage tätig werden sollte. Die Schulleitung nahm nach Zustimmung des Kollegiums Kontakt zu einem potenziellen externen Berater mit Erfahrungen im Bereich Kommunikation auf, der seine Unterstützung zusagte.
Im Vorfeld der pädagogischen Tage gab es eine gemeinsame Veranstaltung des Lehrerkollegiums und des Schülerrates zur detaillierten Themenfindung. Die Lehrer brachten hier ein, dass sie besonders zum Ende längerer Arbeitsetappen zunehmend unzufrieden mit der Erfüllung schulischer Aufgaben durch die Schüler sind, insbesondere auch mit der Art und Weise, wie die Schüler mit den Lehrern und miteinander umgingen. Dazu zählten wiederholte verbale Übergriffe ebenso wie die generelle Gereiztheit im Umgang miteinander. Resultierend sei, dass sich am Ende keiner mehr gerecht behandelt fühle. Es zeigte sich, dass dies auch ein wichtiges Thema für die Schüler war, denn auch bei ihnen gab es zum Teil Unverständnis in der Kommunikation mit Mitschülern oder auch Lehrern. So ergab die gemeinsame Diskussion zwischen Schülern und Lehrern schließlich die Einigung auf das Problem: „Warum verstehen wir uns nicht? - Ursache von Missverständnissen“ als Thema für die pädagogischen Tage.
Das Kollegium setzte sich in Vorbereitung der pädagogischen Tage mit theoretischen Grundlagen der Kommunikation nach Prof. Dr. Friedemann Schulz von Thun auseinander und bereitete erstmals in Teams klassenstufenspezifische (alterspezifische) Inhalte sowie den Ablauf der zwei Tage vor.
Die Kollegen stützten sich dabei auf Materialien von:
- Klippert: Kommunikationstraining. Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 2000
- R. Miller: Halt’s Maul, du dumme Sau!. AOL-Verlag, Lichtenau, 6.Auflage, 2002
- „Lernende Schule“. Friedrich Verlag, Seelze, Heft 14/ 2001
- Realschule Enger: Lernkompetenz-Bausteine. Cornelsen Scriptor, Berlin, 2001
- Erwachsen werden. Lions Quest-Autoren der deutschen Ausgabe: Heiner Wilms, Ellen Willms, Lehrerhandbuch des Lions Clubs International, 2000, Gesamt-District 111 - Deutschland, Wiesbaden; Titel der Originalausgabe: Skills for Adolescense (Third Edition), 1992 Quest International, Newark (USA).
Von Seiten der Schüler wurde im Vorfeld der pädagogischen Tage eine Befragung zu Kommunikationsstörungen zwischen Lehrern und Schülern sowie zwischen Schülern und Schülern durchgeführt. Es wurde erfragt, zwischen wem es häufig Kommunikationsprobleme gibt, wie diese aussehen und warum sie nach Meinung des Befragten auftreten. Die Ergebnisse der Schülerbefragung zeigten konkreten Handlungsbedarf auf, die Ergebnisse gingen in die Vorbereitung der pädagogischen Tage ein.
Zudem tauschten sich die Schüler im Rahmen unserer pädagogisch-sozialen Förderstunden über ihre Kommunikationsprobleme mit den Lehrern aus.
Aus allem ergab sich für die Schüler eine vorbereitende Hausaufgabe für die pädagogischen Tage mit den Fragen:
- Wem höre ich in der Schule gern zu?
- Was gefällt mir nicht, wenn jemand zu mir spricht?
- Wie rede ich mit meinen Mitschülern, Lehrern?
- Diese Fragen sollten die Schüler für sich beantworten und als Grundlage für die pädagogischen Tage mitbringen.
Ablauf der pädagogischen Tage
Im Folgenden wird der Ablauf der beiden pädagogischen Tage beschrieben. Ein Kurzüberblick findet sich im Ablaufplan.
Der erste Tag
Zunächst erfolgte am Morgen für alle Klassen die Information über den organisatorischen Ablauf der Tage. Es wurden organisatorische Verabredungen getroffen, z. B. zur Gruppenbildung oder dass die Arbeitsphasen und Pausen in den Klassen selbst festlegt werden.
Aufgabenstellungen für die Klassen:
- Findet Ursachen, Auswirkungen und Konsequenzen von auftretenden Konflikten zwischen den Schülern und zwischen den Lehrern und Schülern.
- Wo liegen in der Klasse die Hauptprobleme?
- Wie können wir durch Sprache Signale setzen und diese auch verstehen?
- Welche Bedeutung hat das im täglichen Umgang?
- Welche Ziele können wir uns stellen, damit sich alle Beteiligten besser verstehen?
- Welche Regeln lassen sich aufstellen?
Diese Aufgabenstellungen für die Klassen zeigten, dass, unabhängig von der Alterstufe und vom Vorwissen der Schüler, theoretisches Wissen vermittelt werden muss:
- zum Begriff Kommunikation und deren Bausteine,
- aktives Zuhören und ICH-Botschaften,
- Grundlagen der Konflikterhellung und -bearbeitung.
In der Regel konnten zwei Lehrer je Klasse entsprechend der Teamarbeit aus der Vorbereitungsphase eingesetzt werden, die die theoretischen Inputs gaben, viele Interaktionsübungen durchführten und auch für Beratungen zur Verfügung standen.
Parallel dazu führte Dr. Wolfgang Wildfeuer von der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung ein Coaching der Schülervertreter durch, die am zweiten Vormittag selbstständig in den Klassen das Thema: „Finden gemeinsamer Regeln zu Umgang miteinander“ moderieren sollten.
Eine erste Reflexion des Vormittages zeigte, dass alle Beteiligten den Austausch über Missverständnisse im Miteinander als sehr notwendig empfanden und über den offenen und ehrlichen Diskurs angenehm überrascht waren.
Am Nachmittag erhielten die Lehrer einen weiteren theoretischen Input durch Dr. Wolfgang Wildfeuer zu Grundlagen der Moderation und zum „Entscheidungsbaum“, einem Modell zur Diagnose und Führung von Gesprächen.
Der zweite Tag
Auch am zweiten Tag erhielten die Klassen im Vorfeld formulierte Aufgabenstellungen, die sich an den vorherigen Tag anschlossen:
- Wie können wir besser miteinander kommunizieren?
- Welche Signale setzen wir bei auftretenden Konflikten?
- Welche Konsequenzen setzen wir bei Nichteinhaltung der Regeln?
- Wie arbeiten wir weiter?
Der zweite Vormittag begann in den Klassen mit einem Feedback zu Bausteinen der Kommunikation und einer Reflektion auf das alltägliche Gesprächsverhalten und auf Störungen im Unterricht. Die Störfaktoren wurden schnell im Brainstorming zusammengetragen. Die Auseinandersetzung mit den Ursachen fand in einer intensiven Gruppenarbeit statt, die durch die am Vortag „gecoachten“ Schülermoderatoren geführt wurde.
Eine für jüngere Schüler mögliche Diskussionsgrundlage ist folgendes Raster:
In unserer Klasse sollen sich alle wohlfühlen.
Wie sollten sich die Schülerinnen und Schüler verhalten, damit alle sich wohlfühlen können?
Was kann ich selbst dazu tun? | Was sollte ich dazu unterlassen? |
---|---|
Was sollen die anderen dazu tun? | Was sollten die anderen dazu unterlassen? |
Was sollte die Lehrerin/der Lehrer dazu tun? | Was sollte die Lehrerin/der Lehrer unterlassen? |
Dass die Lehrer an diesem Vormittag kaum in Erscheinung traten, wirkte sich positiv auf die anschließende Erarbeitung gemeinsamer Regeln im Klassenraum aus, da die Schüler sie als „ihre eigenen“ Vereinbarungen (auch in der Formulierung!) erarbeiteten.
Am Nachmittag präsentierten Schüler die in den einzelnen Klassen erarbeiteten Regeln. Erstaunlich war, dass sich auch über mögliche Sanktionen bei Regelverstößen sehr heftig in den Klassen auseinandergesetzt wurde.
Dabei wurde folgender Konsens erarbeitet:
Gute Klassenregeln
-
werden miteinander ausgehandelt und können gemeinsam verändert werden
-
gelten für alle
-
sind positiv formuliert
-
machen deutlich, wozu sie da sind
-
sind nur wenige, aber dafür verbindlich
-
ziehen Konsequenzen bei Verstoß nach sich
Der Erfahrungsbericht einer Lehrerin schildert aus ihrer Perspektive diese beiden pädagogischen Tage.
Ein wichtiges Lernergebnis für uns Lehrer war:
Wenn wir etwas auf Dauer im sozialen Kontext Schule verändern wollen, müssen wir unsere Schüler wesentlich stärker in die Vorbereitung, Gestaltung und Auswertung des Schulalltages einbinden!