Soziales Lernen als Unterrichtsfach im Rahmen eines präventiven Gesamtkonzeptes (Hessen)
Zwischenbilanz
Welche Erfahrungen liegen bisher vor? Welche Folgen haben sich ergeben?
Schrittweise Veränderungen und Verbesserungen
Unser Vorhaben – mit dem Unterrichtsfach Soziales Lernen zur Stärkung des Selbstvertrauens der SchülerInnen beizutragen und damit eine Grundlage zu legen für eigenverantwortliches Handeln, gewaltfreien Umgang mit Konflikten und Übernahme von Verantwortung – wurde im 5. Jahrgang gestartet und konnte über Jahre kontinuierlich bis in den 7. Jahrgang hinein weiter entwickelt werden. Die schrittweise Entwicklung unseres Präventionsmodells hat die Situation an der Gutenbergschule deutlich verbessert. Besonderen Aufschwung erhielt die Arbeit an unserer Schule durch die Aufnahme in das hessische BLK-Projekt „Mediation und Partizipation“ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie lernen & leben“.
Das Schulklima hat sich deutlich gewandelt. Die zu Beginn beschriebenen Unterrichtssituationen sind in den 5. und 6. Klassen zum Positiven verändert. Es finden kaum noch körperliche Auseinandersetzungen zwischen den SchülerInnen statt. Falls es zu Konflikten, z. B. auf dem Schulhof in den Pausen, kommt, sehen sich Klassenkameraden und auch ältere SchülerInnen in der Verantwortung den Streit zu schlichten. In der Regel wird auch die nächste Stunde bei den KlassenlehrerInnen dazu genutzt, den Streit anzusprechen, spätestens jedoch in der nächsten Klassenratsstunde. Lösung von Konflikten gehört die Priorität. Denn SchülerInnen, die einen Konflikt in sich weiter tragen, sind nicht in der Lage dem Unterrichtsgeschehen zu folgen und lenken sich und MitschülerInnen ab.
Wesentlich zum Gelingen unseres Schulkonzeptes haben neben den SchülerInnen Eltern und alle KollegInnen beigetragen, die aktiv nach geeigneten Lösungen suchten. Die Betroffenheit der KollegInnen von Disziplinschwierigkeiten im Unterricht und ständigen Auseinandersetzungen in den Pausen führte zur Bereitschaft sich der Problematik zu stellen. Ein Viertel des Kollegiums hat im Laufe der Zeit an der Fortbildungen zur Veränderung der Konfliktkultur im „Basistraining Mediation“ teilgenommen. Gleichzeitig erfuhren die KollegInnen Unterstützung durch die Schulleitung. Die wöchentliche Unterrichtsstunde wurde ermöglicht und der Schwerpunkt der schulinternen Fortbildungsmaßnahmen auf den Bereich Soziales Lernen gelegt. Durch das langsame Aufbauen und die Beteiligung einer immer größeren Zahl von KollegInnen an dem neuen Unterrichtsfach sowie die fachliche und personelle Unterstützung durch die Schulsozialarbeit konnten Probleme und Schwierigkeiten überwunden werden. Aber nicht alle KollegInnen waren zur Mitarbeit zu gewinnen. Gerade die notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und Haltung sowie die veränderten Unterrichtsformen im Sozialen Lernen und das gemeinsame Unterrichten bauten Schranken auf. Erst mit Beginn dieses Schuljahres (2005/06) konnten wir auch für den 7. Jahrgang die Doppelbesetzung sichern.
Vorbehalte und Widerstände bei Einführung
Nach wie vor gibt es BedenkenträgerInnen, die z. B. Kernfächer wie Deutsch und Englisch wichtiger finden oder Vorbehalte gegenüber diesem Fach mit seinen spielerischen Übungen und dem Verzicht auf eine Benotung haben. Jeder neue Konflikt auf dem Schulhof und in den Klassenräumen unterstützte solch eine skeptische Grundhaltung, die sich darauf versteift, nur das Negative sehen zu wollen. Das Befremden über das neue Fach nahm aber mit der Anzahl an KollegInnen ab, die Methoden wie das „Meinungsbarometer“ kennen lernten oder in Kleingruppen mit Pappe und Kleber Eierauffangmaschinen konstruierten und testeten. Diese KollegInnen konnten persönlich erfahren, wie sich bei einer Gruppenaufgabe mit einem gemeinsamen Ziel ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt. Derartige Kooperationsaufgaben sind für häufig individuell arbeitende Lehrkräfte eine neue und schöne Erfahrung, die sie die Bedeutung sozialen Lernens für SchülerInnen nachvollziehen lässt.
Ergebnisse aus Wirksamkeitsüberprüfungen
Die Zahl der Ordnungsmaßnahmen ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Probleme können durch pädagogische Maßnahmen gelöst werden. Immer wieder erfahren wir aber auch, dass gerade SchülerInen, die als „Seiteneinsteiger“ von anderen Schulen zu uns kommen, große Probleme bei der Eingliederung haben. Sie zeigen solche Verhaltensweisen, wie wir sie früher bei unseren SchülerInnen feststellten. Dieser Problematik werden wir uns in der nächsten Zeit stellen und Lösungen dafür finden müssen.
Die Ergebnisse der Eingangsevaluation des DIPF (vgl. http://www.blk-demokratie.de/?id=326) zu Beginn des BLK-Programms vom Frühsommer 03 sind jedoch noch nicht in Beziehung gesetzt worden zu den Ergebnissen der gerade durchgeführten Ausgangsevaluation des DIPF vom Mai 06, da für diese die Auswertung noch nicht vorliegt. Insofern können wir unsere Aussagen zurzeit noch nicht mit quantitativen Daten unterlegen. Eine Selbstevaluation hat die BLK-PG im August 2004 mit den KollegInnen, die SoLe unterrichtet haben, mit dem Instrument der SOFT-Analyse auf qualitativer Basis durchgeführt. Die Ergebnisse deckten sich mit denen, die sich aus der Evaluation unserer BLK-PG mit dem gleichen Instrument ergeben hatten. Die BLK PG wurde von ihrer Beraterin Frau Zeidlewitz-Müller in die Arbeit mit der Methode eingeführt.
Rückmeldungen aus der Schülerschaft
Die größte Unterstützung des Projektes kam aus der Schülerschaft. Soziales Lernen war als Unterrichtsfach eine feste Einrichtung. Vor allem nach dem Übergang in den Jahrgang 7 legten die SchülerInnen Wert auf die Fortsetzung. Sie waren in manchen Klassen sogar in der Lage, die Stunden selbstverantwortlich zu leiten. Die älteren SchülerInnen forderten die Ausweitung auf die höheren Jahrgänge. Sie sahen endlich eine Chance, die Konflikte tatsächlich anzugehen und Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten. Ein Zeitfenster für Gespräche war geschaffen. Der Schulsprecher brachte es im zweiten Jahr des Projekts während einer Gesamtkonferenz zur Sprache. Es habe sich an der Schule schon sehr viel verändert. Auch die SchülerInnen würden sich in den Änderungsprozess aktiv einbringen wollen. „Jetzt muss ich mich endlich nicht mehr schämen, wenn ich sage, dass ich auf die Gutenbergschule gehe. Ich bin stolz darauf, auf diese Schule zu gehen!“
Impulse aus dem BLK-Projekt
Schulentwicklung darf aber nicht stehen bleiben. Wir haben das Ziel durchgängig konstruktiver mit Konflikten umzugehen und respektvollen Umgang miteinander zu pflegen noch nicht erreicht. Es müssen immer wieder Ziele neu formuliert bzw. den neuen Bedingungen angepasst werden. Denn es kommen neue Schüler und neue Lehrer an die Schule; der Personenkreis und die Lern- und Arbeitsbedingungen für die Schüler verändern sich. Durch das BLK-Projekt haben wir unsere Arbeit mit den SchülerInnen neu überdacht. Die Schule hat einen Erziehungsauftrag und dem müssen wir uns stellen. Die Vermittlung von Sozialkompetenzen, kommunikativen und interaktiven Kompetenzen, von Gemeinschafts- und Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein sehen wir als unsere dringliche Aufgabe.
Rückblickend auf die letzten zwei Jahre hatten wir die einmalige Chance einen Baustein unseres Schulprogramms – das Soziale Lernen - mit professioneller Begleitung durch Frau Zeidlewitz-Müller zu entwickeln. Die aus interessierten KollegInnen und Mitgliedern der Schulleitung besetzte BLK-PG arbeitet nun kontinuierlich an der Umsetzung unserer Ideen zur Veränderung des Miteinanders an unserer Schule. Es gibt meiner Erfahrung nach kein anderes Projekt, in dem Schulen so intensiv und kompetent begleitet werden. So erfahren die KollegInnen der BLK-PG die Möglichkeit ihr Projektvorhaben professionell zu entwickeln und zu reflektieren sowie dabei eigene Methodenkompetenz zur selbständigen Planung und Durchführung von weiteren Projekten zu erlangen. Dies nimmt auch Einfluss auf die Veränderung in anderen Bereichen der Schulentwicklung, wie z. B. die Konferenzstrukturen, Partizipation aller am Schulgeschehen Beteiligten, auch die der Schüler und Eltern.
Die Aufnahme in das BLK-Programm führte auch zu einer neuen Bewertung der an der Schule seit Jahren etablierten Projekte. Wir wollten nicht am Ende der Jahrgangsstufe 7 mit dem Sozialen Lernen enden und suchten nach Möglichkeiten der Fortführung. Wir lernten den Begriff „Service Learning“ kennen und stellten fest, dass es an unserer Schule bereits Formen des Service Learning gab („Gutzies“). Der Arbeitsname unseres Projektes „Vom Sozialen Lernen zum Sozialen Handeln“ entstand.
Weiterentwicklung und Verbindungen zum Service Learning
Wir wollen auf konzeptioneller Ebene eine Verbindung des Unterrichtsfaches „SoLe“ der Klassenstufen 5 bis 7 zu bestehenden und neuen Projekten des „Service Learning“ in den höheren Jahrgängen herstellen. Aufgrund vieler positiver Rückmeldungen von Schüler- und Elternseite streben wir inzwischen seit mehreren Jahren an, Soziales Lernen als einen Schwerpunkt unserer Schule konzeptionell dahingehend zu erweitern, dass wir das „Service Learning“ sowohl innerhalb der Schule als auch im Umfeld ausweiten. Während unser bisheriges Lernangebot sich auf den Wahlpflichtunterricht bezieht sowie in den 9. und 10. Gymnasialklassen als Unterrichtsfach besteht, soll es auf das Gesamtkonzept „Vom Sozialen Lernen – zum Sozialen Handeln“ ausgeweitet werden. Dies besagt, dass die SchülerInnen zunächst mit sich arbeiten, dann im Team und schließlich in der Gruppe. Spiralförmig erweitert sich dann der Kreis auf den Jahrgang, die Schulgemeinde und das Lebensumfeld der SchülerInnen außerhalb der Schule im Stadtteil. Auf welche Schüler-Adressatengruppe sich dies beziehen soll, ist noch in der Diskussion. Zur Zeit wird eine Strategie erarbeitet, wie der Aufbau „Vom Sozialen Lernen zum Sozialen Handeln“ in ein Konzept eingebunden werden kann, in dem die Rahmenbedingungen und Inhalte verbindlich festgeschrieben werden, die dann auch ins Schulprogramm einfließen.
Unser Ziel: Anerkennung als Modellversuch
Wir hoffen, dass die Vermittlung von sozialen Kompetenzen in der Schule ihren Platz und ihre Unterrichtszeit erhalten wird und dass dies durch den Schulträger und das Kultusministerium so anerkannt werden wird. Außerdem wird versucht SoLe seitens des Ministeriums als Modellversuch anerkannt und genehmigt zu bekommen.